Ein biplares Leben/

 

Nach der Ebbe die Flut - nach der Flut die Ebbe 

Ein bipolares Leben

Prolog

Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können. Sie sitzen da, und langsam dämmert es Ihnen, dass sie anscheinend anders erleben und fühlen als die Mehrheit der anderen Menschen, ja, dass sie in anderen Rhythmen leben. Mehr noch: dass Sie Ihr ganzes bisheriges Leben anders erlebt haben, und dass Ihr zukünftiges Leben, sofern Sie es vollenden, oft anders sein wird als das der Anderen. Die Wahrscheinlichkeit aber ist hoch, dass Sie Ihrem Leben selbst ein Ende bereiten, in einer Phase, die Sie nicht aushalten, und der Sie deswegen ein Ende setzen wollen.

Ich jedenfalls saß wie gelähmt da und war erst einmal unfähig, irgendwelche Gefühle zu äußern. Ich saß an einem achteckigen Tisch in einem kleinen Zimmer im dritten Stock eines Altbaus in jener Stadt, in der ich vor dreiundvierzig Jahren geboren worden war, eine Kamera war auf mich gerichtet und filmte jeder meiner Reaktionen, und auch wenn man nicht reagiert, kommuniziert man, auch daraus kann man seine Schlüsse ziehen, das war mir bewusst.

An der Wand hingen zwei Gemälde, eines mit vier verschwommenen orangeroten Blüten der Kapuziner-Kresse und eines mit vier tiefgelben Blüten der Seekanne oder der Sumpf-Dotterblume auf seltsam grünem Grund, mir zur Linken war ein Regal mit vielen Leitz-Aktenordnern, und mir zur Rechten gestattete ein hohes Fenster den Blick auf einen tristen Hinterhof und - da ich saß - momentan auf hohe Kamine, Giebel- und Ziegelfluchten, Gauben und Dachfenster. Der Himmel war trüb.

Mir gegenüber saß eine sehr hübsche, sehr nette junge Frau, die mich in drei oder vier mehrstündigen Sitzungen intensiv befragt hatte, standardisierte Tests durchgeführt und wohl auch Einsicht in meine Krankenakten genommen hatte. Ich jedenfalls hatte dem Institut dies erlaubt.

Nun hatte sie mir eröffnet, dass das Screening abgeschlossen sei, und dass ich nunmehr einer anderen Therapeutin oder Therapeuten zugewiesen werde. Diese werde dann entweder Gesprächs-Therapie oder Kognitive Verhaltenstherapie mit mir durchführen. Bezahlt werde alles vom Deutschen Forschungs-Ministerium. Ich müsse im Gegenzug haarklein meine Tagesabläufe aufschreiben und auch mein gefühlsmäßiges Erleben tagtäglich in einem definierten Raster einordnen. Das Psychologische Institut würde sich in ein paar Wochen dann wieder melden.

Und mir war klar: Wenn ich nicht als bipolar eingestuft worden wäre, dann würde sie mir Solches nicht sagen. Dann würde ich nicht in Betracht kommen für dieses Projekt, denn die Gelder des Forschungs-Ministeriums waren an die Erforschung der bipolaren Störung geknüpft und inwieweit sich kognitive Verhaltenstherapie auf ihren Verlauf und auf ihr Ausmaß auswirken würde.

Die bipolare Störung, wie das Phänomen, an dem ich leide, momentan bei Fachleuten heißt, ist in dem Buch über Krankheiten, das ich besitze, zusammen mit der Schizophrenie und seltsamerweise dem Nervenzusammenbruch als Psychose aufgeführt. In diesem Buch heißt diese Störung "Manisch-depressiv-Sein". Die davon Betroffenen, so konnte ich darin lesen, betrachteten ihre Störung als normales Verhalten. Im Nazi-Deutschland hieß das Ganze "Manisch-depressives Irresein" und man wurde, war man deswegen mehr als ein Jahr arbeitsunfähig, als "Ballast-Existenz", als "seelenlose Hülle", als "unnützer Esser" zusammen mit geistig Behinderten mit Kohlenmonoxyd vergast, z.B. in Grafeneck bei Münsingen auf der Alb. Denn man war dem Volk nichts nutze, eben hinderlicher Ballast., vielleicht aber auch nur „ein Wurf zum Menschen hin“. So dachte man damals.

Und in dem Lexikon jüngerer Zeit, das an meinem Arbeitsplatz stand, hieß es auch "Manisch-depressives Irresein". Es stammt aus der Mitte der 90-er Jahre.

Bumms. Da saß ich. Nun wusste ich Bescheid.

Ein lächelndes, freundliches Gesicht hatte es mir gesagt. Und ich hatte es darauf angelegt, Bescheid zu wissen. Ein Artikel in der Zeitung hatte mich vor Wochen auf dieses Projekt gebracht. Und die dort angegebene Telefonnummer hatte ich angerufen. Unter den dort geschilderten Symptomen hatte ich etwas zu erkennen vermocht, das mir nicht fremd war.

Die Wochen darauf drängten sich immer wieder folgende Fragstellungen auf:

Wir Bipolaren haben den immensen Tidenhub der Bretagne und Ost-Kanadas. Wir sind Schlick des Meeresbodens und gezackte Felsenspitze und glitzernde Tropfen der sprühenden Gischt und Möwenflug und apathischer Fisch im Trockenen. Und die anderen Menschen, die normalen, die verfügen nur über den läbbrigen Tidenhub des Mittelmeeres oder des Fjordes, der andererseits gefahrloser ist, in ruhigeren, ausgewogeneren Bahnen verläuft, an dem allerdings auch die Frau vom Meer eingeht wie ein Meeresfisch, der den Sauerstoff der tosenden Brecher benötigt und im brackigen, stehenden Wasser nicht fort kommt.

Aber ich muss dann auch an den schwarzen Kormoran denken, der am Küstenfelsen zerschmettert wurde. Er war zu tief geflogen, zu leichtsinnig, hatte sich im faszinierenden Spiel des Windes und der Wellen verloren, und ein hoher Brecher hatte ihn gegen den Fels geklatscht. Das ist die andere Seite des intensiveren Empfindens.

Wie fühlten und dachten die anderen Menschen? Welche Bereiche meiner Empfindungen waren normal, welche nicht? Wo lag die Grenze zwischen Normalität und Störung, zwischen Genialität und Gestörtsein? Noch genial oder bereits gestört? Noch gestört oder bereits genial? Oder normal? Wo war ich in meinen Reaktionen und Rhythmen überschießend? Wie sah es in den Seelen der anderen Menschen aus? Wie lebten sie ihr Leben? Welche Verhaltensweisen und Gefühle bei mir waren dem menschlichen Normalzustand zuzuordnen, und welche nicht mehr? Was war an meinem Leben normal, welche Charakteristika gehörten zu Modifikationen des Normbereiches, was war gestört? Welche Intensität meiner Beschäftigungen und Hobbys lag im Rahmen, ab wann aber beginnt der Bereich außerhalb dieses Rahmens? Handelte es sich um eine Psychose, oder um eine Störung? Um eine Geisteskrankheit, wie ich in Bild der Wissenschaft las? Waren dies nur Wortklaubereien? Ist "chronisch gestört" so viel besser als "psychotisch"? Oder ist dies nur eine der vielen Euphemismen, so wie man eine Putzfrau halt Raumpflegerin nennt? Wie normal muss man sein?

Auf der anderen Seite: In unserer Gesellschaft möchte niemand zu den "Normalos" gerechnet werden, auch dies ist bereits ein abwertender Begriff. Und in manchen Kreises gilt es als chic, als manisch-depressiv zu gelten, auch wenn man dies gar nicht ist. Immerhin gehören überproportional viele Dichter und vielleicht auch Künstler und Entdecker hierzu.

Bloß: Psychopath, das möchte niemand sein. Wörtlich heißt das: "an der Psyche leidend", "psychisch krank".

Und leider sind auch viele derjenigen, die sich selber töten, manisch-depressiv. Und auch Gestalten wie Adolf Hitler und Udai Hussein, aber das wird dann verschwiegen, wohl um uns zu schützen. Aber wie aussagekräftig sind dann die Listen mit den MD-Leuchten?

Wozu nun, zum Kuckuck, gehörte ich?

Es sind Fragen, die mir nicht leicht fielen, die schwer zu beantworten sind. Denn man steckt nur in seiner Haut, und nicht in der der Anderen. Woher will man wissen, ob alle so fühlen und denken wie man selbst? Man geht zunächst einmal davon aus, dass das, wie man selber empfindet, das Normale ist, oder nicht?

Nur durch genaue Kenntnis meiner Störung und Vergleiche mit Anderen konnte ich hier Aufschluss und Einblicke gewinnen, das wurde mir schnell klar.

Woran ich lange kaute: Alles Schöne in meinem Leben, war das Manie? Ich bin immer gerne nach Norden gefahren, im Sommer, wo die Tage lang und die Nächte kurz waren. Da waren die Menschen so anders, die Frauen entgegen kommend, alle freundlich, die Landschaft so schön, dass es innerlich schmerzt, die Farben intensiv, die Luft klar wie Kristall, die Gletscher so faszinierend, alles lief leicht und gut, ich erbrachte sportliche Höchstleistungen, war dabei sehr risikobereit. Wie aber, wenn das alles nur durch die Hinfahrt durch die Nacht und die kurzen Tage und den wenigen Schlaf da oben induziert worden wäre? Habe ich ein falsches Bild? War es von meiner manisch gefärbten Euphorie gefärbt? Muss ich diese Eindrücke revidieren?

Die Liebes-Beziehung zu meiner Kollegin, zur Traumfrau meines Lebens, meinem Gegenstück, meiner Einschätzung, von dessen absoluter Wahrheit ich überzeugt war, war das nur eine Manie gewesen? Habe ich das gar nicht real abgespeichert?

Die Kletter-Touren, bei denen es gut lief, euphorisch gut, ohne Angst, waren das die Endorfine, die körpereigenen Drogen, oder passierten die in Manien? Immerhin habe ich vor großen Touren meist schlecht und wenig geschlafen.

Alle schönen Dinge in meinem Leben: Manien? Manien, die herunter gedimmt gehören? Etwas in mir drin wehrt sich dagegen ...

Pink over blue deep  

Ich saß auf dem Stuhl neben dem Zimmer meiner Therapeutin, denn ich war zu früh dran. Der Verkehr war flüssig gewesen. Unter mir der beige Linoleumboden mit seinen parallelen Streifen. Über mir der hohe Raum eines Flures des Psychologischen Instituts. Weiß. Mir gegenüber die Toilette für Frauen und die Küche, versehen mit ebenfalls weiß gestrichenen Türen im Stile der Fünfziger Jahre. Und ein Gemälde von C.M. Knecht mit dem stimmigen Titel "PINK OVER BLUE DEEP". Es war verglast, und ich konnte ein Fenster des Raumes neben mir darin sehen, denn die Türe war offen wie so manche Türen hier. Es spiegelte sich, dieses Fenster, und ich konnte das Spiel der Blätter eines Baumes im Windhauch beobachten, denn es war Herbst. Wohin gerate ich, wenn ich mich treiben lasse? Ergeht es mir wie so einem Blatt? Ist das nicht unser aller Schicksal? Ist es nicht egal, wann dies eintritt?

Pink over blue deep ...

Welche Farben hat die Manie oder der hypomane Zustand? Pink wie auf diesem Gemälde? Dann müsste der Depression die Komplementärfarbe zugewiesen werden. "I am blue ...". Ist diese Farbe aber zutreffend für depressive Phasen? Wohl nur, wenn sie schwach ausgeprägt sind. Dann hat man seinen "Blues", ist "nicht gut drauf". Doch ich kannte Phasen, die schon nicht mehr blau waren, sondern mit schwarz oder grau gemalt werden müssten. Es gibt hier bestimmt mehrere Abstufungen und Intensitäten, so dass es die Depression gar nicht gibt. Und mancher, der mir erzählte, er hätte auch schon trübe Zustände erlebt, meinte zwar, die Depression zu kennen, kannte aber nur das Normale im Leben. Das Blaue. Es ist ein relativ schönes Blau, ein erträgliches Blau im Vergleich.

Wie würde ich Manie und Depression malen? In der Gestalt des Jin und Jang? Dann bildeten sie zusammen die ideale Einheit. Die aber war bei dieser Störung meines Ausprägungs-Grades nicht mehr vorhanden, das Jin und Jang war hier verzerrt in eine flammende Spirale abwärts und mitunter nur vermeintlich aufwärts in beklemmender Dynamik. Mir ausgefransten Rändern, die ins bodenlose Nichts zu führen drohen.

Jin und Jang wären also die normalen Ausprägungen dieser gegenteiligen Phänomene. Und bei meiner Störung wären sie übersteigert aus den Fugen geraten, die Hochs und Tiefs des Daseins oszillierten außerhalb des normalen Notenschlüssels. Die Klaviatur der Normalen ließe deren Melodie nicht mehr zu.

Und die Melodie dieser bipolaren Störung drückte sich jeweils in den individuellen Klangfarben der Einzelpersönlichkeit aus, wie die sonstigen Lebensentwürfe auch. Sie benutzt die Tonarten der Interessen, Hobbys und der jeweiligen Persönlichkeit.

Ja, so würde es wohl sein.

Die mir zugewiesene Therapeutin begrüßte mich höflich und nett und versetzte meinen Gedanken einen Ruck. Ihre Lippen waren mit genau derselben Farbe getönt wie ihr Haarband. Rechts trug sie einen Ring, in dem ein schöner Stein gefasst war, ähnlich einem Lapislazuli. Sie lud mich ein, in den Therapieraum zu kommen und brachte einen Zettel mit der Aufschrift "Bitte nicht stören!" außen an der weißen Holztüre an. Diese Türe schloss sich. Sie programmierte die Video-Aufnahme, setzte sich in bewusst aufrechter Haltung schräg seitlich von mir. In verständlichen Worten eröffnete sie mir, dass es sich bei der Therapie, die wir im Begriff waren zu beginnen, um eine Rezidiv-Prophylaxe bei der bipolar affektiven Störung ginge. Es handele sich um zwanzig Einzeltherapie-Stunden, bei denen es darum ginge, fachlicher Experte für die eigene Krankheit zu werden sowie potenzielle Anzeichen und Auslöser depressiver und manischere Episoden zu identifizieren. Weiter solle ich lernen, mit dementsprechenden individuellen Kognitionen wie z.B. Katastrophizieren und Verhaltensweisen umgehen zu lernen und Gegenstrategien, so genannte "Coping"-Strategien einzuüben. Alltägliche Probleme und Konfliktursachen sollten nicht ausgespart bleiben. Sie werde weiterhin dazu ermutigen, die Medikamente so einzunehmen, wie vom Arzt verordnet, denn ein möglicher Auslöser sei oftmals die so genannte fehlende Compliance, die mangelnde Einsicht vor allem in manischen Phasen in die Notwendigkeit der Medikamenten-Einnahme. Ich dachte mir hierbei: "... und die Nebenwirkungen dieser Medikamente, die sind auch auch ein Auslöser für fehlende Compliance". 

"Kollateralschäden" 

Bei den Neandertalern und den Homo sapiens der selben Zeitstufe war man mit vierundvierzig Jahren sicher schon sehr alt und abgenützt. Der Lebenskreis ging zur Neige, wenn er nicht schon vorher beendet worden war. Aber die Lebensumstände waren anders als heute.

In unserer Gesellschaft ist man mit vierundvierzig Jahren im Zenit des Lebens. Man hat nicht gerne Nebenwirkungen, die einen von diesem Sockel stürzen. Seit ich Psychopharmaka, Neuroleptika und Antidepressiva nahm, litt ich an Nebenwirkungen wie starker Gewichtszunahme, Müdigkeit, Verlangsamung und Sediertheit. Dann an Mundtrockenheit, Beinunruhe und - besonders störend - an einer Verlangsamung des Schließmuskels der Harnröhre. Der Harnstrahl war schwächer geworden, es tröpfelte nach, wie bei einem alten Mann. Außerdem waren Ejakulation und Orgasmus-Erleben mitunter unmöglich, und oft stark beeinträchtigt und verändert.

Die Stimme meiner Therapeutin brachte mich wieder auf andere Gedanken, weg von Neandertalern und den Ausformungen des Greisenhaften.

Im Stadium der Manie, so erklärte sie mir, könne es gut sein, dass man meint, man bedürfe der Therapie nicht mehr. Ich solle also jemanden nennen, den sie dann als Ansprechpartner hätte für den Fall, dass ich einfach nicht mehr käme. Wenn sollte ich da nur nennen? Als Erstes fiel mir meine Schwester ein.

Diese Psychotherapie, so erklärte sie mir weiterhin, geschähe in Ergänzung zur medikamentösen Behandlung, die weiterhin in den Händen meines Arztes bliebe.

Die Stäbe des Äskulap, die Psychologen und die Laienhelfer 

Ich nahm zu der Zeit 45 mg Remergil, ein sehr teures und relativ neuartiges, sedierendes Anti-Depressivum zur Nacht, zwei Mal 75 mg Trevilor, ein anregendes und ebenfalls nicht billiges Anti-Depressivum am Tag. Dazuhin wegen eines Hörsturzes Pentoxyfyllin, ein die Durchblutung förderndes Medikament. Die Anti-Depressiva hatte mir ein Arzt für Neurologie und Psychiatrie verschrieben, ein Psychiater. Noch vor fünf Jahren hatte ich den Unterschied zwischen Psychotherapeut und Psychiater nicht wirklich gekannt. Wie war es dazu gekommen, dass ich einen Psychiater aufgesucht hatte, was für mich einen schweren Schritt bedeutet hatte, denn ich nicht ohne Not begangen hatte.

Nun, dieser Psychiater war nicht der erste, den ich aufgesucht hatte. Angefangen hatte es zu Ostern 1998, bei einer Portion Vanilleeis mit Erdbeeren. Nun, genau genommen war dies gar nicht Anfang, weder in Form eines initiums noch eines principiums, aber zu jener Zeit war mir nach einem Verlust-Erlebnis bewusst geworden, dass ich medikamentöse Hilfe brauchte. Verlust-Erlebnisse, wer hat die nicht? Aber es ist bei psychischen Krankheiten in der Regel so, dass die Schwierigkeiten, die zwischenmenschlich bedingten Auslöser alltäglich sind. Es sind Ereignisse, die bei den Normalos wie bei den Psychos vorkommen. Nur schlagen die Auswirkungen im Inneren, sofern man gestört ist, ganz anders aus, Verletzendes verletzt offensichtlich mehr. Man stürzt in seelische Grauzonen, und schließlich in unbekanntes Terrain.

Oder hat man dazuhin andere Verhaltensmuster? Gibt man zu schnell auf, ist man zu schnell zutiefst getroffen oder zu sprunghaft, so dass man eben mehr Verlust-Erfahrungen und sonstige Probleme auch dadurch hat?

Bei einer Veranstaltung des Arbeitskreises "Psychiatrie und Öffentlichkeit" in der Stadt, in der ich wohne, hat eine Psychiatrie-Erfahrene, Frau B. den Zustand geschildert, den sie vor einigen Wochen durchlebt hat. Sie erzählte, der Teufel habe nach ihr gegriffen, sie wollte sterben, und er habe mit aller Macht an ihr gezerrt. Nach unten. Auch ein Engel habe an ihr gezerrt und sie schließlich nach oben gerissen. Doch Gott habe gesagt: "Du, das ist noch zu früh. Die B. soll noch ein bisschen auf der Erde bleiben". Dann habe der Engel sie wieder auf die Erde getan. Und jetzt stünde sie hier, und setze sich weiter für die Psychiatrie-Erfahrenen ein.

Der katholische Dekan, Hausherr und Mitglied der Podiums-Honoratioren, gefragt, was er dazu meine, konnte dazu nichts sagen. Es sei ihm alles fremd, so äußerte er sich, was er hier gehört habe. Eine andere Welt. Befremdend.

Ich habe Frau B., die vor ihrem Vortrag und danach neben mir gesessen hatte, verstanden, glaube ich.

Und so einfach kann sich die katholische Erziehung, die Frau B. in ihrer Jugend gehabt hatte, nicht aus der Verantwortung stehlen. Und die Bilder, die immer noch in Kirchen wirken, und oftmals nicht in dem Kontext der Zeitumstände damals erklärt werden.

Was trennt mich und den Dekan? Die Suizidalität? Einfühlungsvermögen? Die psychische Störung? Die Ehrlichkeit?

Die psychische Störung drückt sich in dem aus, was auch den Normalos so fremd nicht ist, meine ich.

Warum tun die dann so, als wäre ihnen dies alles so fremd?

Dabei braucht der Dekan bloß in ein Wilhelm-Busch-Buch zu schauen, oder in den bebilderten grünen Katechismus seiner und meiner Jugendjahre. Denn er hat das gleiche Alter wie ich.

Ah, sie merken, ich möchte ablenken. Haarscharf am Thema vorbeireden, oder eher vorbeischreiben. Ich gelobe Besserung. Ich hatte also ein Verlust-Erlebnis. Ein Verlust-Erlebnis, das Sie vielleicht auch schon hatten, möglicherweise. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ein Erlebnis, das für mich so stark war, dass immer mehr drohte, ich könne es nicht bewältigen. Weshalb? Nun, ich war über immens lange Zeit sehr traurig, versteinert, verlangsamt, nicht mehr der Alte, lief wie in trauriger Trance umher, manchmal zu traurig, um traurig zu sein. Ich nahm nichts Schönes mehr wahr. Ich fand mich in der Nacht mit einer Rasierklinge in der Rechten auf der Treppe sitzend wieder. Ich erinnere mich daran, dass ich lange Zeit in der Nacht auf dem Balkon saß, ohne mich zu rühren, nur in der Unterhose. Und es war erst Ostern und demzufolge noch recht kühl. Manchmal rollten mir auf dem Markt die Tränen über die Backen, aber oft war dieser Strom versiegt. Ich wachte immer wieder sehr früh auf und konnte nicht mehr einschlafen. Ich hatte nur traurige, destruktive Gedanken. Sie drehten sich im Kreis, nur um das Eine. Alles war düster. Mir war immer klarer, dass ich diesmal aus eigener Kraft aus diesem Loch nicht mehr herauskäme, dass ich eine Art Beruhigungs-Mittel brauchte.

Und so trieb mich, bestärkt von der Erinnerung an einige Zeitungsartikel, ein inmitten erstarrter Lava glimmender Funke tief in mir drinnen zum AKL (Arbeitskreis Leben). Dessen Hauptamtlicher hörte mir nur ein bisschen zu, war eher ungehalten, weil ich ihn beim Abfassen eines Artikels störte, und meinte, es wäre besser gewesen, wenn ich einen Termin ausgemacht hätte. Ich war wohl auch nicht dramatisch in meinen Schilderungen. Außerdem habe ich eine vorgefasste Meinung gegenüber Hauptamtlichen. Jedenfalls verneinte er: Er könne mir kein Beruhigungsmittel verschreiben. Ja, wer dann? Ein Arzt, aber es sei wohl besser, hier zu einem Facharzt zu gehen.

Was für ein Facharzt? Naja, er nannte mir einige Psychiater aus der Gegend. Doch ich hatte über einige schon Schlechtes gehört, sie seien selber reif für die Psychiatrie und so weiter. Ob er mir eine Auswahl aus dieser Liste empfehlen könne? Das dürfe er nicht. Mit wem er denn schon zusammengearbeitet und gute Erfahrungen gemacht habe. Er nannte mir schließlich zwei, drei Adressen, die ich notierte.

Die erste Telefonnummer rief ich am selben Nachmittag an. Der Arzt sei im Urlaub, hieß es. Doch ich hatte das Gefühl, es sei dringend mit diesem Beruhigungsmittel.

Doch der zweite auf meiner Liste, das war .... der Chefarzt der psychiatrischen Abteilung der Stadt, in der ich lebe. Ohje!

Das war starker Tobak. Der gibt sich doch nicht mit meinem Schnickschnack ab. Der schickt mich bestimmt zum Teufel, nimmt mich wahrscheinlich gar nicht an. Oder, er behält mich gleich hier. Beides waren keine guten Perspektiven.

Ich rief trotzdem an. Normalerweise ginge das nicht, meinte die Vorzimmerdame, aber er nahm mich schließlich doch und gab mir einen Termin, in der psychiatrischen Abteilung.

Die Psychiatrie befand sich in den Räumen eines alten Krankenhauses. Während das Kreiskrankenhaus hoch droben auf dem Berge lag, weithin sichtbar, mit modernen Gebäuden, beleuchtet und mit Hubschrauber-Landeplatz, lag die Psychiatrie unten am trüben Fluss. Alte Räume beherbergten die Kranken. Die Balkone waren vergittert, die Fenster mit Plexiglasstreifen gesichert. Die Türen der Stationen verschlossen, von innen. Die Gänge und Zimmer in tristem Beige-Creme, mit hölzernem Handlauf in Hüfthöhe. Ab und zu ein großes Bild mit wildem Action Painting, ähnlich den Bildern, die Schimpansen malen, denen man Farbe und Pinsel zur Verfügung stellt. Alles erinnerte irgendwie an ein Gefängnis. Und an unmündige, nicht für voll Genommene ...

Nachts stoben die Fledermäuse um das Gebäude. Ab und zu starrte jemand auf dem Balkon durch die waagrecht angebrachten Plexiglas-Streifen, die wie transparente Gitter wirkten.

Doch die Bauteile der Psychiatrie waren schön zwischen hohen und alten Bäumen gelegen. In der Nähe befand sich ein alter, aufgelassener Friedhof mit schönen alten Grabsteinen und ebenfalls prägnanten Baumveteranen und die Bodelschwingh-Schule für geistig behinderte Schüler.

Gefängnis, geistig behindert, geisteskrank, Friedhof, wirre Bilder des Chaos. Zufall? Sind dies nur Assoziationen, die ich hatte?

Der Fluss wälzte sein trübes Wasser faulig-grau vorbei.

Doch die Gemächer des Chefarztes lagen in einem freundlichen Bauteil. Die Sonne schien, man sah schön auf den Garten, wenn man den Gang zu ihm lief, das Grün war frisch. Es irrlichterte kein hysterisches, irres Gelächter durch die Gebäude, keine Schreie waren zu hören, jedenfalls meistens nicht. Jedenfalls hier unten nicht. Man ging an einer Cafeteria vorbei, an deren kleine Tische Viele saßen, die nervös an ihrer Zigarette sogen und den Neuankömmling, der ihre triste Langeweile unterbrach, musterten. Sie waren normal gekleidet.

Die Tür, hinter der er residierte, war eine doppelte Tür. Schalldicht. Jedenfalls habe ich das so in Erinnerung.

Wenn ich einen Psychiater malen müsste, ich würde ihn malen so wie er da stand. Der typische Psychiater! Ein Bart wie Sigmund Freud. Sorgfältig gestutzt. Brille. Er war sehr groß gewachsen, schlank. Er trug ein unauffälliges, braunes Sakko. Das Zimmer eingerichtet wie bei einem Psychiater. Auf ein Sofa musste ich mich nicht legen, ich durfte in einem bequemen Ledersessel Platz nehmen.

Er wirkte sehr gütig und keinesfalls borniert.

Wie beginnen? Nun, ich sagte zunächst, dass ich mit meinen Problemen bei ihm wohl eine Nummer zu hoch angesiedelt sei, aber der andere Arzt, der mir genannt worden wäre, der sei im Urlaub. Und er sei mir empfohlen worden, vom AKL. Er lächelte milde und zeigte durch ein leichtes Nicken an, dass ich fortfahren könne, dass er gewillt war, mir zuzuhören.

Er hörte mir eine geschlagene Stunde lang zu. Schließlich konstatierte er, ich hätte eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion bei Partnerschaftskonflikten. Eine Anpassungsstörung wurde damals zu den Depressionen gerechnet. Auf ein als dramatisch empfundenes Ereignis erfolge keine rechte Anpassung, so die damalige Meinung. Eine Anpassungsstörung sei zeitlich begrenzt, las ich. Nach einem halben Jahr sei sie vorbei, las ich später. Wichtig schien ihm hierbei die Frage zu sein, ob ich Einschlafschwierigkeiten habe oder früh aufwachte. Ich erzählte von Einschlafschwierigkeiten, die ich eben auch hatte. Dass ich ja auch mitunter sehr früh erwachte und nicht mehr einschlief, das kam mir erst später. Natürlich hatte ich auch eine Tendenz, die Dinge nicht zu dramatisieren, denn ich hatte schließlich keine Lust, dass er sagte, das Beste sei, ich bliebe erstmal hier. Vielleicht ließ ich deswegen das Eine oder Andere weg bei meinen Schilderungen. Doch endlich zückte er einen Block und meinte, er sei sich nicht sicher, ob es bei mir wirke, aber er verschreibe mir doch Zoloft, ein Antidepressivum. Ich solle eine Tablette an Abend nehmen, und wenn es nach zwei Wochen nicht besser wäre, auf zwei hochgehen, aber nicht mehr. Und ich solle wieder kommen.

Es war immer sehr interessant bei ihm. Wir sprachen über Bodelschwingh, über christliche Ethik, er erzählte mir von seinem Vater, der Theologe gewesen war und eröffnete mir nach einiger Zeit, ein Problem von mir sei, dass ich meine Aggressionen nicht nach außen richte, wo sie hingehörten, sondern gegen mich selbst. Aggressionen seien nichts Schlechtes, sie seien wichtig, aber schlecht sei es, sie gegen mich selbst zu richten. Ich sei aggressionsgehemmt.

Nun, ich war bestimmt so strukturiert, dass ich Fehler immer zunächst bei mir selbst suchte, bevor ich überhaupt daran dachte, dass bei anderen auch Übles sein konnte, da hatte er bestimmt Recht.

Und Gewaltlosigkeit war ein großes Ideal von mir. Und - um ehrlich zu sein - ich war schließlich auch kein Preisboxer. Rangeleien ging ich schon immer lieber aus dem Weg.

Er zeichnete mir mit einem Kugelschreiber auf, wie das Zoloft an den Synapsen wirkt. Wie es den chemischen Überträgerstoff Serotonin in dem synaptischen Spalt zwischen den Nervenzellen hält, damit es länger wirken kann. Und ich erklärte ihm, dass ich keine Psychotherapie brauche, weil ich sehr gut selber reflektieren könne. Das akzeptierte er, bestellte mich aber wieder her.

Er erzählte auch von sich selber, von daheim, schilderte in Beispielen, dass er auch Alltagskonflikte habe.

Manchmal war er müde, ich kam immer abends, da hatte er bestimmt einen langen Arbeitstag hinter sich. Seine Vorzimmerdame war immer sehr freundlich zu mir und er eigentlich auch.

Was ich viel später von ihm erfuhr: Sein Vater hatte sich ums Leben gebracht, jedenfalls hatte er es mir einmal erzählt, als ich später von der Polizei eingeliefert wurde in seine Abteilung, weil ich auf einer sehr hohen Brücke aufgegriffen worden war, ich hatte den Zaun des Viadukts überwunden, und sein Vater war manisch-depressiv, das erzählte er in einem seinem Vorträge, die ich heute noch gerne besuche.

Ach ja, beim Bossing meines Chefs hat mir eine Hauptamtliche des AKL gut geholfen und der Personalrat. Und mein ehemaliger Kollege. So konnte ich das Ganze offen angehen und die erste Runde stoppen. 

Unaufhaltsamer Abstieg von der Sonnenspitze

"Der Verlust des schönen Blau" oder,"Auf der Sonnen-Spitze", von einem Freund, 1998, Alle Rechte vorbehalten

 

Das Blau ist verloren, so unerreichbar fern,

Blau, ja blau, sie hatte es so gern  ...

Unten der See ist so weit weg

Das Wasser des Lebens, rein, ohne Dreck

Das Kreuz ist zerschmettert, nichts gibt mehr Halt

Mein Maßstab vermodert am Boden bald

Traumfänger schwebt haltlos, ist nicht mehr Schmuck

der Schönen, die blau mag, ist nur mehr Trug

Er lässt nur noch trüb durch, filtert nicht mehr ab

die schlechten Träume von Grauen und Grab

Der Sog der Tiefe, er ist so stark

schwach die Knie, tragen sie hinab?

 

Ich nahm bereits Zoloft, ein Anti-Depressivum aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, also wird es im Sommer 1998 gewesen sein, als mein Bergfreund H., gleichzeitig der Stellvertreter meines Chefs, mich motivierte, in die Berge zu gehen, nicht die schlechteste Remedur. Wir waren früher bereits gemeinsam über den Jubiläumsgrat zwischen Zugspitze und Alpspitze balanciert, hatten dort wegen eines Gewitters eine Nacht lang biwakiert und das Regenwasser mit einer rostigen Getränkedose aufgesammelt und waren dann über das Mattheisenkar und durch einige Gemsen ins Höllental abgestiegen, von wo wir anfangs die Zugspitze erstiegen hatten. Klamm doch froh kehrten wir durch die Klamm zurück. Nun, solch eine lange Tour sollte es nicht werden, aber auf die Ehrwalder Sonnenspitze wollten wir schon, die Sonne putzen, und auch der Klettersteig am Wasserfall war verlockend, doch der Rucksack zu schwer.

 

Wir fuhren zuerst auf die Ehrwalder Alm, aber dann das Auto wieder herunter und hasteten hinauf. Dort sprachen wir dem Elektrolyt zu, das aus Wasser, Malz und Hopfen hergestellt wird. Am nächsten Morgen hatte H. den großen Zeh gebrochen. In der Nacht hatte er das verständliche Bedürfnis verspürt, seine Blase zu leeren, war - rücksichtsvoll wie er war, über den dunklen Gang getapst in Richtung Klo, hatte aber in seiner Erinnerung eine massive Truhe nicht abgespeichert, was ihm nun zum Verhängnis wurde. So war der Zeh gebrochen.

Dies hinderte ihn aber nicht, zur Coburger Hütte mit aufzusteigen, und dann gleich weiter zur Sonnenspitze, eine leichte Kletterei. Das Seil trug ich zwar mit, aber wir gebrauchten es nicht. Oben stand ein neues Gipfelkreuz, der hölzerne, verwitterte Balken und Pfosten des Vorgängers lag malerisch auf dem Boden, was mich später zu einem Aquarell anregte. Am Schönsten aber war tief unten der Seeebensee, ein Juwel aus Türkis, Azur und Ultramarin, so verheißungsvoll wie der gleichfarbige Türkisschmuck anmutiger Frauen. Der Frau, die ich oben etwas unpoetisch "Verlusterfahrung" genannt habe. Mit dem Schmuck, den ich ihr geschenkt hatte. Doch der innere Traumfänger ließ nun schlechte Gedanken durch, anstatt sie aufzuhalten. Meinen Neuronen waren in beunruhigenden Bahnen vernetzt, und die Chiffre "Türkis" hatte deren Geisterbahnfahrt ausgelöst. So konnte ich den Ausblick nicht genießen. Ich musste zurücktreten, hinter die klobigen Kalkblöcke der Kante, damit mich der gewaltige Sog in die lockende Tiefe nicht mitriss. Ich war ja nicht alleine hier. Was aber wäre, wenn ich alleine hier oben stünde?

 

H. trat neben mich. "Einfach wunderschön, der Ausblick!" - Ja, so musste es wohl sein. 

Durch die gleiche Route stiegen wir wieder ab, und halfen dort einem Jugendlichen, der von seiner nicht sehr viel älteren Begleiterin einfach zurückgelassen worden war und den Abstieg in die gähnende Tiefe nicht mehr bewältigte. So stieg einer, ich vermute, ich war's, ihm voraus und nahm ihm den Blick in die Tiefe, zeigte ihm Tritte und der andere werkelte beruhigend an dessen Kopfende. Optimismus verbreiten, ja, das kannte ich gut, diese Rolle konnte ich spielen.

Mit großem Genuss kletterten wir trotz des Zehenbruches noch die Altherren-Route und den Yeti im Klettergarten. Ich stieg verständlicherweise vor, hatte ich doch gesunde Zehen.

Was allerdings bereits bedenklich war: Ich konnte so gut wie nicht schlafen. War dies das wieder frühe Morgen-Erwachen der Depression? Wann würde es weichen? Wann wieder kommen?

 

Doch die Eindrücke der schönen Landschaft war ich noch imstande aufzunehmen, bedingt zwar, aber es ging ab und zu.

Ein so schönes Gebiet wollte ich mit meinem Sohn teilen, der damals fünf Jahre alt war. Meine Tochter war damals zu klein dafür. So fuhr ich einige Zeit später mit ihm wieder dorthin.

Natürlich machten wir beim Aufstieg ausgiebig Rast bei den Pferden, die unsere Brötchen essen wollten, bei einem Ameisenhaufen, einem Frosch, dem Bach, an der Seeebenalm, ließen am Seeebensee ein gelbes Boot an einer Schnur fahren, und suchten Edelsteine, und durchwanderten davor statt brav des Weges zu trotten das wesentlich abenteuerlichere Bachbett. Einige Kühe versperrten uns den Weg, doch wir stellten uns ihnen kühn.

Unsere Kletterrouten führten vom Klosett in die Felsen einige Meter oberhalb des Klettergartens und in die Altherrenroute. Weiterhin erkundeten wir den Drachensee, fanden dort einen Knochen, beobachteten Murmeltiere, stiegen auf in Richtung Drachenspitz, bauten aus Steinplatten einen Privatweg und belauschten eine Gämse. Das Füttern der Alpendohlen, Streicheln des Bergrettungs-Hundes, der Kaiserschmarrn von Reinhilde, nächtliche Touren mit der Stirnlampe durch die Holzhütte und eine Sprengung in Hüttennähe mitten während des Abendessens bildeten weitere Höhepunkte für meinen Sohn.

Nur der Abstieg über den Klettersteig war kein reines Vergnügen für ihn. Ich hatte ihn am kurzen Seil, aber an manchen ausgesetzten Stellen schlug er wütend gegen den Fels und wollte nicht weiter. Nur gutes Zureden half.

 

Später malte mein Sohn mir über diesen Bergausflug ein tolles Bild.

Dann, ein oder zwei Jahre später, ging ich mit einer befreundeten Familie wieder dorthin. Wir stiegen über den Klettersteig auf, was mir bereits Mühe bereitete, denn ich hatte hauptsächlich wegen der Psycho-Pharmaka (Taxilan, Truxal, Equilibrin, Saroten) sehr zugenommen, und bestiegen die Hintere Thajaspitze.

Diese Spitze hatte ich bereits unter winterlichen Bedingungen erstiegen, als ich mit meiner Schwester und K. zu Pfingsten zum ersten Mal hier gewesen war, wir flugs aufgestiegen sind und dann im Dunkeln, in Nebel und Schnee kurz vor knapp die Hütte gefunden hatten. Die Nacht im dortigen Winterraum hatten wir mit den Hüttenmäusen verbracht.

Dann tobte sich Fritz am Klettergarten aus. Von mir gesichert durchstieg er sämtliche Routen. Ich selber schaffte keine einzige mehr.

Was ich damit sagen will: Ich hatte binnen ein, zwei Jahren körperlich und sportlich enorm abgebaut, Sinnbild meiner ab da unaufhaltsamen Abstiege. Bis heute hatte ich das nicht wieder ausbügeln können. Woanders aber aber hatte ich zugebaut. Die Rundung nach außen in Nabelhöhe hält sich hartnäckig. Und nicht nur hier zieht ein enormes Gewicht nach unten. 

 

Voranschleppen 

 

Unendlich müde schleppe ich mich voran. Durch die Stadt. Sogar die Augenlider offen zu halten kostet Mühe. Ich will niemandem begegnen, niemanden grüßen müssen. Die Szenerie um mich herum nehme ich nur schemenhaft wahr. Es ist schon dunkel geworden. Ein mit Glühbirnen adventlich umrahmter Giebel, noch einer, das Kopfsteinpflaster, hier muss ich abbiegen.

Daheim laste ich auf dem Sofa, hingeschüttet wie Wasser. Ich möchte keinen Muskel rühren. Im Magen ein ganz komisches Gefühl. Klare Gedanken sind nicht greifbar.

Etwas vom Boden aufheben - wie schrecklich.

Sich morgens anziehen - fast unmöglich, alles ist so schwer.

Der Gesichtsausdruck ist nicht traurig, sondern leer, ausdruckslos. 

 

Thema Nummer Eins 

 

Viel Kopfzerbrechen steckt hinter den dürren Sätzen, die nun folgen werden. Wie viel soll ich der nach diesem Thema gierenden Öffentlichkeit preisgeben? Wie viel dieses Zugpferds vor neugierigen Blicken verbergen?

Mit Rücksicht auf Jene, die mir lieb und teuer sind, und mit Rücksicht auf jenen Anteil meines Selbst, der einem teuer sein sollte, habe ich mich für Zurückhaltung entschieden, die im Zweifelsfall auf Kosten der Zugriffe gehen wird. Soll sie!

Nur so viel: Sie können sicher sein, dass auch hier alles überschäumend verlief und wohl immer noch geschieht und geschehen wird. Die Höhenflüge führten in frischere Luft so klar wie Champagner und waren gleißend wie das von ungefilterter Sonne beschienene ewige Eis, dessen Spalten mit einer phänomenalen Farbabstufung in ultramarinen Tönen aufwarten, die Tiefen aber in Niederungen, die akut lebensbedrohlich waren. Höhen wie Tiefen der Liebe kennt bestimmt fast Jede und Jeder, die Ausschläge des Erlebens aber waren bei mir - so weiß ich jetzt in der Mitte oder am Ende meines Lebens - intensiver.

Das kann sehr schön sein - pfeilschnelles Segeln in hohen Gefilden der Liebe weit über Wattewölkchen, wo andere sich durch Schlingpflanzen hindurch wühlen und vielleicht lediglich flattern - , aber wehe, wenn der Absturz kommt: Da ist es dann gut, wenn man nicht so hoch war und die Schlingpflanzen, nun nicht behindernd, einen abfedern, vermute ich mal. Ich jedenfalls und viele meiner Leidensgenossinnen und Leidensgenossen drohen hierbei zu zerschellen. Zurück bleibt eine unförmige Masse oder ein Fettfleck. Die Flügel, jene schwungvollen Fittiche, sie sind nichts mehr als Trümmerbrüche.

Vielleicht verstehen Sie es, liebe Leserinnen und Leser, wenn ich bei diesen Höhenflügen nicht ins Detail gehe. Jene, die sich mit mir aufschwangen im Laufe meines Lebens, und immer noch mitschwingen, sind mir lieb und teuer. Diese Sparte also bleibt verborgen in meinem und deren geistigen Schatzkästchen, tut mir Leid für Sie.

Einen schwachen Trost habe ich für Sie: Sie können von anderen Kapiteln her hochrechnen. ;-)

 

Und nun einen weniger schwachen Trost: Was andere lediglich über Wochen belastet - Liebeskummer - oder höchstens ein Jahr - Trennung - , das lastet bei mir das ganze Leben, ganz schrecklich zumindest über viele Jahre. Diese Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen haben Sie nicht, und das ist mehr als ein schwacher Trost. Ist das nur bei mir so? Oder ist das typisch für Manisch-Depressive? Wenn ich jedenfalls eine sehr gute Biographie über Vincent van Gogh lese, eine frühere Doktorarbeit, dann wird mir vieles klar, auch wenn der Verfasser nicht wusste, dass von Gogh manisch-depressiv war. Woher auch? Wenn er es nicht selber ist, dann kann er es nicht merken. 

 

Gene 

Wieso hat die Natur die im Erbgut verankerten Informationen für die bipolare Störung im Laufe der menschlichen Evolution nicht ausgemerzt? Kann es sein, dass diese Störung auch gute Seiten hat, die in der Entwicklung der Menschen Vorteile boten? Möglicherweise bot das gesteigerte Interesse an Erotik und Sex und die gesteigerte Aktivität und das innerliche wie äußerliche Aufblühen während manischer Phasen die Gewähr dafür, dass das Erbgut mit den bipolaren Mustern weiter gegeben wurde. Oder das auffällige Sich-Heraus-Putzen? Und die depressiven Phasen sparten möglicherweise Energie in Zeiten des Mangels.

Vielleicht ist etwas daran.

 

Vielleicht aber ist diese Störung einfach eine Störung wie andere, wie Diabetes, Schizophrenie und Mucoviszidose. Auch dort stellt sich ja die Frage, weshalb die Erbstrukturen dieser negativen Dinge nicht im Laufe der Evolution negativ selektiert wurden, weil sie keinen Vorteil bei der Weitergabe des Erbguts boten, sondern nachteilig waren für die Fortpflanzung wie für das Leben.

Dann stellt sich auch die Frage: Inwieweit ist die bipolare Störung überhaupt oder von äußeren Bedingungen und Reizen mit hervorgerufen? Ist ein Teil angeboren, der uns kreativ, aber auch überdreht macht? Ist ein Teil angeboren, der uns verwundbar und empfindlich gegenüber sozialem Stress macht?

 

Ist diese Krankheit in den Ethnien gleich verbreitet? Kommt sie schlimmer in den industrialisierten Staaten zum Ausdruck? Oder ist es umgekehrt?

Ich habe mich entschlossen, an einem Gen-Projekt teilzunehmen, und mein Erbgut zur Analyse bereitzustellen.

 

Man könnte heraus finden, weshalb manche Medikamente bei den einen nicht wirken. So könnte die Herum-Probiererei ein Ende haben und schnelle Hilfe bewirkt werden.

Aber: Könnten nicht auch die Krankenkassen irgend wann eine DNA-Probe verlangen, und einen dann ablehnen oder mit höherem Beitrag drangsalieren, wenn man manisch-depressiv ist?

Ist nicht alles auch zum Schlechten verwendet worden? Die Forscher hatten die Ehre, aber was daraus gemacht wird, liegt nicht mehr in ihrer Verantwortung. Kann man das so gelten lassen? 

 

Manie

 

Höhenflug und Schatten, von einem Freund, 2001

 

Niederungen und Höhenflüge

"Da oben spielt sich das Leben nicht ab!

Da unten geschieht es, steig endlich herab!"

Doch bloß im Sumpf des Alltags verenden

Das will ich nicht, will lieber mich blenden ...

Ohne dort oben wär' dort unten mein Grab!

Aquarell und Gedicht wurden für diesen Zweck überlassen von einem Freund :-)

 

Mich treibt es in das Aquariengeschäft nach R. Ich bestaune alle Becken und kaufe schließlich zwei Büschel Wasserpflanzen. In P. kaufe ich zwei weitere Pflanzen, eine grüne Tigerlotus-Pflanze und eine Pflanze, deren lateinischer Artnamen an meinen stellvertretenden Chef erinnert und die ich deswegen kaufe. Vier Japan-Garnelen und ein Paradiesfisch-Weibchen, ein Nil-Kugelfisch, zwei Elefanten-Rüsselfische, weiter Fischfutter, Salinenkrebschen und Futter für diese Krebschen nehme ich außerdem noch mit. Mindestens zehn Aquarien-Bücher leihe ich mir in der örtlichen Bibliothek in N. aus, fünf weitere in B. In N. besorge ich zwei Kampffisch-Weibchen und ein Paradiesfisch-Männchen. Wieder in R. kaufe ich eine rote Tigerlotus-Pflanze, zwei Garnelen, ein Pärchen Kleine Maulbrüter, die auch im Albert-See in Uganda vorkommen, wo ich einmal war und zwei Purpur-Prachtbarsche, ein Nachzucht-Weibchen und ein Wildfang-Männchen. Vielleicht gelingt mir die Nachzucht. Deswegen kaufe ich noch eine Kokosnuss mit Löchern, damit die Fische eine Kinderstube haben. Ich setze die Tiere in insgesamt fünf Aquarien.

Das Suchen und Abspeichern einiger Midi-Dateien im Internet nach dem Aufwachen lenkt mich so ab, dass ich zu spät an meinen Arbeitsplatz gehe.

An meinem Arbeitsplatz schaffe ich für drei. Alles fällt leicht, alles läuft spontan. Ich verliebe mich in eine Kollegin. Alles ist in goldenes Licht getaucht. Die Farben sind so intensiv, sogar die Auto- und Straßenlichter an einem tristen, verregneten Abend, sind so richtig schön und interessant. Ich koche in Rekordzeit und es schmeckt ihr sogar. 

 

Depression 

 

Ich liege morgens im Bett und bin völlig matt. Schon das Socken-Anziehen ist eine übermenschliche Anstrengung. Ich muss mich vor dieser Prozedur ausruhen, und danach auch. Ich schleppe mich die Treppen hinunter, und liege den ganzen Vormittag auf dem Sofa. Draußen ist alles kahl, die Zweige des Strauches wiegen sich im Wind. Ich fröstele und fühle mich abscheulich.

 

Ich habe Angst davor, die Wohnung zu verlassen und einzukaufen. Das Einkaufen mit all seiner sonst unbemerkten Anstrengung ist eine Last, die ich mir nicht zutraue.

Fahre ich in einem Auto mit, dann ist da ein Drang in mir, die Türe aufzureißen und mich herauszustürzen. Aber dazu müsste ich mich ja losschnallen. Und entscheiden. Und aufraffen.

 

Gehe ich über eine Brücke, dann halte ich entweder Abstand vom Geländer oder starre darüber. Wäre ich gleich tot, wenn ich mich hinunter stürzte? Wie müsste ich fallen, damit es schnell vorbei ist?

 

Auch das Treppenhaus im Krankenhaus lockt. Es ist sehr hoch. Reicht die Höhe aus, damit es gleich vorbei ist?

 

Aber die Energie reicht nicht, diese Gedanken in die Tat umzusetzen.

Meine Lebens-Energie tendiert gegen Null.

Die Zeit dehnt sich endlos. Sie geht und geht nicht vorbei. Am Schlimmsten ist es draußen in der Kälte, wenn die Kinder Schlitten fahren und ich auf sie aufpasse. Schrecklich!

Und wie viele Sachen man im Winter anziehen muss! Wofür sonst kein einziger Gedanke verschwendet wird, weil es kein Problem darstellt, mutiert zu einem abweisenden, unersteigbaren Berg.

 

Schon das Aufstehen ist eine unendliche Qual, die so viel Energie verbraucht, dass das Anziehen unmöglich wird. Allein die Socken über die Füße zu streifen! Da müsste man sich ja bücken! Und die Ferse ist so hinderlich.

Ich werfe einen Zettel in den Papierkorb. Er fällt daneben. Wieder muss ich mich bücken, wie schrecklich!

 

Den Weg zur Garage, in dem das Fahrrad steht, schaffe ich nur mit allergrößter Mühe. Einen Fuß setze ich vor den anderen, jeder Schritt verbraucht wieder endlos Energie, die ich nicht habe. Mir geht es wie einem Elektro-Gerät, dessen Stecker aus der Steckdose gezogen wurde. Noch ein bisschen Energie ist vorhanden, mit der kann man aber keinen Stich machen und sie wird immer weniger. Komme ich bis zur Garage? Und was dann? Wie auf das Fahrrad kommen?

 

All diese Bewegungsabläufe sind pure Alltäglichkeit. Tag für Tag sind sie abgelaufen und ich habe keinen Gedanken daran verschwendet. Das bisschen hierfür nötige Energie war fraglos vorhanden. Jetzt grenzen sie an schiere Unmöglichkeit.

Selber kochen? Vergiss es! Und wenn: Es wird das absolute Chaos, die Energie reicht gerade für das Nötigste und nicht mehr für das Aufräumen. So wie im Zimmer daneben auch.

Die Kälte, die draußen herrscht, ist ein weiterer Hemmschuh. Auch sie hat früher nie gehindert. Wie oft wurde ich darauf angesprochen, wie gut ich die Kälte vertrage. Es hieß, "au, schaut, Nup krempelt sich die Hemdsärmel hinunter", im Schneegestöber des Gebirges, "es wird Zeit bei uns für den zweiten Kittel". Früher, ja, das ist lange vorbei. Vorbei, vorbei! Alles ist vorbei! Es wird nie wieder werden!

 

Arbeitsplatz 

 

Ich war beliebt an meinem Arbeitsplatz, alles fiel leicht, ich hatte keine Probleme. Und ich machte so viel nebenher. Doch nachdem ich krankheitsbedingt eine lange Weile ausgefallen war, und durch eine Wiedereingliederungs-Maßnahme wieder eingestiegen war, ging mein Chef zu üblem Bossing über. Ich hatte einen Fehler gemacht. Die Krankmeldungen waren von meinem Facharzt für Psychiatrie, und nicht vom Allgemein-Mediziner.

Wohlgemerkt: Nicht meine Krankheit führte zum bossenden Boss, sondern das vage Wissen um eine psychische Krankheit und eventuell Nebenwirkungen der Medikamente, die sichtbarer waren als Symptome der Krankheit!

Er sorgte auch dafür, dass es am Arbeitsplatz bekannt wurde, dass ich psychisch krank war/bin. Nicht so, dass man es ihm hundertprozentig nachweisen kann, aber ich weiß es.

Dinge, die früher ohne weiteres gingen bei mir und meinem früheren Kollegen werden jetzt sofort kritisiert. Die Argusaugen des über mich gestellten Psychopathen, der selber nie zur Behandlung geht, machen mir das Berufsleben, das ich vorher mochte, zur Qual. Was bei anderen immer noch toleriert wird, wird bei mir kritisiert. Dabei müsste es anders herum sein: Nicht strengere Maßstäbe, sondern mildere Maßstäbe sollten an Erkrankten angelegt werden. Doch er schwächt meinen Rücken, nachdem ich angeschlagen bin, statt ihn zu stärken. Er legt viele Steine in den Weg. Und die meisten Kollegen sind feige, haben kein Standvermögen und machen "duck and cover", wenn sie nicht selber voreingenommen reagieren.

 

Dabei ist ein gutes Arbeitsklima wichtig für gute Leistungen. Und ein schlechtes Krankmacher Nummer Eins.

Ich habe für Bosser nur Verachtung übrig. Sie kaschieren fehlende innere Größe auf eine ganz üble Weise. :-// 

 

Scheitern der Ehe 

 

Die Ehe lief die letzten sieben Jahre nicht gut. Das hatte zunächst nichts mit der Krankheit zu tun. Dummerweise hatte sich meine Frau im Hinblick Partnerschaft sehr verändert, in negative Richtung, nach meinem Empfinden mehr als ich.

 

In der Manie büxt man aus Kompromissen aus. So hatte ich eine Liebesbeziehung zu einer Kollegin, gestand das aber meiner Frau, und wollte, dass sich in unserer Ehe wieder etwas zum Positiven ändert. Meine Frau ist dazuhin auch behandlungsbedürftig, aber als ihr das mein Psychiater sagte, ist sie nie mehr mitgegangen. Er sagte auch zu ihr, sie habe eine verzerrte Sicht der Realität, ich hingegen sähe die Dinge klarer. Naja, vielleicht ist es ja auch nur eine Routine-Maßnahme der Ärzte, erst einmal für ihre Patienten einzustehen und sie für sich zu gewinnen. ;-) .Andererseits: Ich habe drei Mal probiert, über eine Psychologische Beratungsstelle die Ehe zu retten, als es dann aber offen sichtlich wurde, was auch bei ihr im Argen lag, ist sie auch dort nicht mehr mit hin gegangen.

 

Immer wenn ich Stress mit meinem Chef hatte, hat sie mich nicht gestützt, sondern mir auch noch eins drauf gesetzt, nach dem Motto: Der hat doch Recht.

Wenn jemand gemobbt wird, dann gleich noch mal feste druff!

Dies ist eine äußerst ungünstige Konstellation. :-/

Und hat mit Liebe nichts mehr zu tun.

 

So leben wir getrennt und werden demnächst geschieden. Ich will nun nichts weiteres Schlechtes über meine Frau sagen, denn man muss dann ja auch die andere Seite hören. ;-) Außerdem muss ich immer denken, wenn andere mir gegenüber über getrennte Partner vom Leder ziehen: Warum hast Du ihn/sie dann geheiratet? ;-) 

 

Kognitive Verhaltenstherapie 

 

Ja, die kognitive Verhaltenstherapie im Psychologischen Institut T. war abgestimmt auf die manisch-depressive Krankheit. Sie war sehr gut. Ich lernte, meine Phasen selber besser zu erkennen, und im Vorfeld gegenzusteuern. Ich erarbeitete mit der Therapeutin eine Liste von Gegenmaßnahmen.

 

Ich kann so etwas als zweite oder dritte oder vierte Säule zur medikamentösen Behandlung nur empfehlen.

Derzeit nehme ich Valproinsäure, ein Stimmungs-Stabilisierer und Remergil, ein Anti-Depressivum.

 

Ich fange zurzeit wieder Vieles an und schaffe nicht, es zu beenden. Ich bin total zerstreut. Irgend etwas in mir drin drückt mein inneres Gaspedal bis fast zum Anschlag durch und ich muss das rasante Tempo mithalten. Die Stimmung dabei ist nicht gut, wobei das Valproat wohl die tiefen Ausschläge nach unten abfedert. Ist dies eine gemischte Phase oder ein rapid-cycling-Zustand? Ich weiß es nicht genau. Noch nicht.

 

Oder sind das bleibende Dinge, so wie die Konzentrations-Schwäche und Ablenkbarkeit und das ewige "Nicht-zu-Ende-bringen"? Residual-Symptome? Was soll werden? Wie soll ich das alles schaffen? 

 

Gute Freunde ... 

 

... halte ich für das Allerwichtigste, gewissermaßen die wichtigste der Säulen, die einen stützen. Ich habe drei befreundete Familien, die ich schon lange kenne, unter anderem die meines ehemaligen Kollegen, der immer zu mir gehalten hat am Arbeitsplatz und ich zu ihm, auch wenn unser Chef uns auseinander dividieren wollte nach dem Motto: Zerteile und herrsche!

 

Dieser Kollege ist in meiner schweren Depression mit mir durch den Wald gegangen, in meinem Schneckentempo, und hat dabei immer wieder mein Katastrophierungs-Gedankenkreisen anhören müssen, dass ich meine Arbeit nie mehr ausüben könne.

Diese drei Familien behandeln mich immer noch so wie vor dem Wissen um meine Krankheit.

Mehr noch: Bei einer Familie tauchte ich sogar mal am Heiligabend auf, weil ich Riesenstreit hatte. Meine Frau hatte eines meiner Geschenke für meinen Sohn, obwohl miteinander ausgemacht, vor meinem Sohn schlecht gemacht. Ich konnte bei der befreundeten Familie zu diesem familien-intimen Zeitpunkt bleiben und übernachten. Ich war zuvor in Rage und in Aufgewühltheit losgefahren, was schon drei oder vier Mal zu suizidalem Verhalten geführt hatte.

 

Dann schaue ich, dass ich viele sonstige Sozial-Kontakte habe.

Auch andere Freunde und Freundinnen sind wichtig. Nur - in Zeiten der Depression macht man sich nicht auf und pflegt die Freundschaften nicht. Dazuhin spielt sicher auch die bipolare Schwankung eine Rolle, die viele verunsichert. 

 

Nochmal Thema Nummer 1 

 

Das Outing hat bei Partnerinnen langfristig Nachteile gehabt. Während der Manie, Hypomanie, des Normalzustandes, und auch der Depression, sofern sie nicht sehr tief war: waren die Symptome der Krankheit kein Problem bei der aktuellen Partnerin. Aber das Wissen um solche Dinge wie Suizid-Versuche, drei Psychiatrie-Aufenthalte (zwei davon freiwilliges Hingehen, einmal von der Polizei auf der Autobahnbrücke aufgegriffen) und MD ist offen sichtlich abtörnend, bzw. man kommt als ernst zu nehmender langfristiger Partner nicht mehr in Betracht. Ich bin so wahrheitsliebend - oder wenig kontrolliert? - dass ich das alles meist sage, manchmal in einer Art Trotz wie etwa: Wenn die Beziehung das nicht verträgt, dann eben nicht! Dazu kommen die Nebenwirkungen der Drops wie Fettwerden und -bleiben, Schlaf-Apnoe, Haarausfall, Erektions-und Ejakulations-Störungen, die einen selber nicht gerade antörnen und auch nicht gerade attraktiv wirken ...

 

Und dann die hohe Empfindlichkeit bei vermeintlicher oder tatsächlicher Zurücksetzung! Sofort drängen sich Gedanken auf wie „Vergiss es! Vergiss die neue Beziehung! Sie will dich eigentlich gar nicht!“... Oder ist das wieder eine Depression, die meine Sichtweise und Einschätzung verzerrt, und gar nicht die Realität? Gleich mal die Checkliste durchgehen, die ich von der Verhaltens-Therapie noch habe ...

 

Erfahrungs-Bericht: von einem Freund (Mitte 40)

 

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