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	Nach der Ebbe die Flut - 
	nach der Flut die Ebbe  
	
	Ein bipolares Leben
	 
	
	Prolog 
	
	Ich weiß nicht, ob Sie sich das 
	vorstellen können. Sie sitzen da, und langsam dämmert es Ihnen, dass sie 
	anscheinend anders erleben und fühlen als die Mehrheit der anderen Menschen, 
	ja, dass sie in anderen Rhythmen leben. Mehr noch: dass Sie Ihr ganzes 
	bisheriges Leben anders erlebt haben, und dass Ihr zukünftiges Leben, sofern 
	Sie es vollenden, oft anders sein wird als das der Anderen. Die 
	Wahrscheinlichkeit aber ist hoch, dass Sie Ihrem Leben selbst ein Ende 
	bereiten, in einer Phase, die Sie nicht aushalten, und der Sie deswegen ein 
	Ende setzen wollen. 
	
	Ich jedenfalls saß wie gelähmt 
	da und war erst einmal unfähig, irgendwelche Gefühle zu äußern. Ich saß an 
	einem achteckigen Tisch in einem kleinen Zimmer im dritten Stock eines 
	Altbaus in jener Stadt, in der ich vor dreiundvierzig Jahren geboren worden 
	war, eine Kamera war auf mich gerichtet und filmte jeder meiner Reaktionen, 
	und auch wenn man nicht reagiert, kommuniziert man, auch daraus kann man 
	seine Schlüsse ziehen, das war mir bewusst. 
	
	An der Wand hingen zwei Gemälde, 
	eines mit vier verschwommenen orangeroten Blüten der Kapuziner-Kresse und 
	eines mit vier tiefgelben Blüten der Seekanne oder der Sumpf-Dotterblume auf 
	seltsam grünem Grund, mir zur Linken war ein Regal mit vielen 
	Leitz-Aktenordnern, und mir zur Rechten gestattete ein hohes Fenster den 
	Blick auf einen tristen Hinterhof und - da ich saß - momentan auf hohe 
	Kamine, Giebel- und Ziegelfluchten, Gauben und Dachfenster. Der Himmel war 
	trüb. 
	
	Mir gegenüber saß eine sehr 
	hübsche, sehr nette junge Frau, die mich in drei oder vier mehrstündigen 
	Sitzungen intensiv befragt hatte, standardisierte Tests durchgeführt und 
	wohl auch Einsicht in meine Krankenakten genommen hatte. Ich jedenfalls 
	hatte dem Institut dies erlaubt. 
	
	Nun hatte sie mir eröffnet, dass 
	das Screening abgeschlossen sei, und dass ich nunmehr einer anderen 
	Therapeutin oder Therapeuten zugewiesen werde. Diese werde dann entweder 
	Gesprächs-Therapie oder Kognitive Verhaltenstherapie mit mir durchführen. 
	Bezahlt werde alles vom Deutschen Forschungs-Ministerium. Ich müsse im 
	Gegenzug haarklein meine Tagesabläufe aufschreiben und auch mein 
	gefühlsmäßiges Erleben tagtäglich in einem definierten Raster einordnen. Das 
	Psychologische Institut würde sich in ein paar Wochen dann wieder melden. 
	
	Und mir war klar: Wenn ich nicht 
	als bipolar eingestuft worden wäre, dann würde sie mir Solches nicht sagen. 
	Dann würde ich nicht in Betracht kommen für dieses Projekt, denn die Gelder 
	des Forschungs-Ministeriums waren an die Erforschung der bipolaren Störung 
	geknüpft und inwieweit sich kognitive Verhaltenstherapie auf ihren Verlauf 
	und auf ihr Ausmaß auswirken würde. 
	
	Die bipolare Störung, wie das 
	Phänomen, an dem ich leide, momentan bei Fachleuten heißt, ist in dem Buch 
	über Krankheiten, das ich besitze, zusammen mit der Schizophrenie und 
	seltsamerweise dem Nervenzusammenbruch als Psychose aufgeführt. In diesem 
	Buch heißt diese Störung "Manisch-depressiv-Sein". Die davon Betroffenen, so 
	konnte ich darin lesen, betrachteten ihre Störung als normales Verhalten. Im 
	Nazi-Deutschland hieß das Ganze "Manisch-depressives Irresein" und man 
	wurde, war man deswegen mehr als ein Jahr arbeitsunfähig, als 
	"Ballast-Existenz", als "seelenlose Hülle", als "unnützer Esser" zusammen 
	mit geistig Behinderten mit Kohlenmonoxyd vergast, z.B. in Grafeneck bei 
	Münsingen auf der Alb. Denn man war dem Volk nichts nutze, eben hinderlicher 
	Ballast., vielleicht aber auch nur „ein Wurf zum Menschen hin“. So dachte 
	man damals. 
	
	Und in dem Lexikon jüngerer 
	Zeit, das an meinem Arbeitsplatz stand, hieß es auch "Manisch-depressives 
	Irresein". Es stammt aus der Mitte der 90-er Jahre. 
	
	Bumms. Da saß ich. Nun wusste 
	ich Bescheid. 
	
	Ein lächelndes, freundliches 
	Gesicht hatte es mir gesagt. Und ich hatte es darauf angelegt, Bescheid zu 
	wissen. Ein Artikel in der Zeitung hatte mich vor Wochen auf dieses Projekt 
	gebracht. Und die dort angegebene Telefonnummer hatte ich angerufen. Unter 
	den dort geschilderten Symptomen hatte ich etwas zu erkennen vermocht, das 
	mir nicht fremd war. 
	
	Die Wochen darauf drängten sich 
	immer wieder folgende Fragstellungen auf: 
	
	Wir Bipolaren haben den immensen 
	Tidenhub der Bretagne und Ost-Kanadas. Wir sind Schlick des Meeresbodens und 
	gezackte Felsenspitze und glitzernde Tropfen der sprühenden Gischt und 
	Möwenflug und apathischer Fisch im Trockenen. Und die anderen Menschen, die 
	normalen, die verfügen nur über den läbbrigen Tidenhub des Mittelmeeres oder 
	des Fjordes, der andererseits gefahrloser ist, in ruhigeren, ausgewogeneren 
	Bahnen verläuft, an dem allerdings auch die Frau vom Meer eingeht wie ein 
	Meeresfisch, der den Sauerstoff der tosenden Brecher benötigt und im 
	brackigen, stehenden Wasser nicht fort kommt. 
	
	Aber ich muss dann auch an den 
	schwarzen Kormoran denken, der am Küstenfelsen zerschmettert wurde. Er war 
	zu tief geflogen, zu leichtsinnig, hatte sich im faszinierenden Spiel des 
	Windes und der Wellen verloren, und ein hoher Brecher hatte ihn gegen den 
	Fels geklatscht. Das ist die andere Seite des intensiveren Empfindens. 
	
	Wie fühlten und dachten die 
	anderen Menschen? Welche Bereiche meiner Empfindungen waren normal, welche 
	nicht? Wo lag die Grenze zwischen Normalität und Störung, zwischen 
	Genialität und Gestörtsein? Noch genial oder bereits gestört? Noch gestört 
	oder bereits genial? Oder normal? Wo war ich in meinen Reaktionen und 
	Rhythmen überschießend? Wie sah es in den Seelen der anderen Menschen aus? 
	Wie lebten sie ihr Leben? Welche Verhaltensweisen und Gefühle bei mir waren 
	dem menschlichen Normalzustand zuzuordnen, und welche nicht mehr? Was war an 
	meinem Leben normal, welche Charakteristika gehörten zu Modifikationen des 
	Normbereiches, was war gestört? Welche Intensität meiner Beschäftigungen und 
	Hobbys lag im Rahmen, ab wann aber beginnt der Bereich außerhalb dieses 
	Rahmens? Handelte es sich um eine Psychose, oder um eine Störung? Um eine 
	Geisteskrankheit, wie ich in Bild der Wissenschaft las? Waren dies nur 
	Wortklaubereien? Ist "chronisch gestört" so viel besser als "psychotisch"? 
	Oder ist dies nur eine der vielen Euphemismen, so wie man eine Putzfrau halt 
	Raumpflegerin nennt? Wie normal muss man sein? 
	
	Auf der anderen Seite: In 
	unserer Gesellschaft möchte niemand zu den "Normalos" gerechnet werden, auch 
	dies ist bereits ein abwertender Begriff. Und in manchen Kreises gilt es als 
	chic, als manisch-depressiv zu gelten, auch wenn man dies gar nicht ist. 
	Immerhin gehören überproportional viele Dichter und vielleicht auch Künstler 
	und Entdecker hierzu. 
	
	Bloß: Psychopath, das möchte 
	niemand sein. Wörtlich heißt das: "an der Psyche leidend", "psychisch 
	krank". 
	
	Und leider sind auch viele 
	derjenigen, die sich selber töten, manisch-depressiv. Und auch Gestalten wie 
	Adolf Hitler und Udai Hussein, aber das wird dann verschwiegen, wohl um uns 
	zu schützen. Aber wie aussagekräftig sind dann die Listen mit den 
	MD-Leuchten? 
	
	Wozu nun, zum Kuckuck, gehörte 
	ich? 
	
	Es sind Fragen, die mir nicht 
	leicht fielen, die schwer zu beantworten sind. Denn man steckt nur in seiner 
	Haut, und nicht in der der Anderen. Woher will man wissen, ob alle so fühlen 
	und denken wie man selbst? Man geht zunächst einmal davon aus, dass das, wie 
	man selber empfindet, das Normale ist, oder nicht? 
	
	Nur durch genaue Kenntnis meiner 
	Störung und Vergleiche mit Anderen konnte ich hier Aufschluss und Einblicke 
	gewinnen, das wurde mir schnell klar. 
	
	Woran ich lange kaute: Alles 
	Schöne in meinem Leben, war das Manie? Ich bin immer gerne nach Norden 
	gefahren, im Sommer, wo die Tage lang und die Nächte kurz waren. Da waren 
	die Menschen so anders, die Frauen entgegen kommend, alle freundlich, die 
	Landschaft so schön, dass es innerlich schmerzt, die Farben intensiv, die 
	Luft klar wie Kristall, die Gletscher so faszinierend, alles lief leicht und 
	gut, ich erbrachte sportliche Höchstleistungen, war dabei sehr risikobereit. 
	Wie aber, wenn das alles nur durch die Hinfahrt durch die Nacht und die 
	kurzen Tage und den wenigen Schlaf da oben induziert worden wäre? Habe ich 
	ein falsches Bild? War es von meiner manisch gefärbten Euphorie gefärbt? 
	Muss ich diese Eindrücke revidieren? 
	
	Die Liebes-Beziehung zu meiner 
	Kollegin, zur Traumfrau meines Lebens, meinem Gegenstück, meiner 
	Einschätzung, von dessen absoluter Wahrheit ich überzeugt war, war das nur 
	eine Manie gewesen? Habe ich das gar nicht real abgespeichert?  
	
	Die Kletter-Touren, bei denen es 
	gut lief, euphorisch gut, ohne Angst, waren das die Endorfine, die 
	körpereigenen Drogen, oder passierten die in Manien? Immerhin habe ich vor 
	großen Touren meist schlecht und wenig geschlafen.  
	
	Alle schönen Dinge in meinem 
	Leben: Manien? Manien, die herunter gedimmt gehören? Etwas in mir drin wehrt 
	sich dagegen ... 
	
	Pink over 
	blue deep    
	
	Ich saß auf dem Stuhl neben dem 
	Zimmer meiner Therapeutin, denn ich war zu früh dran. Der Verkehr war 
	flüssig gewesen. Unter mir der beige Linoleumboden mit seinen parallelen 
	Streifen. Über mir der hohe Raum eines Flures des Psychologischen Instituts. 
	Weiß. Mir gegenüber die Toilette für Frauen und die Küche, versehen mit 
	ebenfalls weiß gestrichenen Türen im Stile der Fünfziger Jahre. Und ein 
	Gemälde von C.M. Knecht mit dem stimmigen Titel "PINK OVER BLUE DEEP". Es 
	war verglast, und ich konnte ein Fenster des Raumes neben mir darin sehen, 
	denn die Türe war offen wie so manche Türen hier. Es spiegelte sich, dieses 
	Fenster, und ich konnte das Spiel der Blätter eines Baumes im Windhauch 
	beobachten, denn es war Herbst. Wohin gerate ich, wenn ich mich treiben 
	lasse? Ergeht es mir wie so einem Blatt? Ist das nicht unser aller 
	Schicksal? Ist es nicht egal, wann dies eintritt? 
	
	Pink over 
	blue deep ...  
	
	Welche Farben hat die Manie oder 
	der hypomane Zustand? Pink wie auf diesem Gemälde? Dann müsste der 
	Depression die Komplementärfarbe zugewiesen werden. "I am 
	blue ...". Ist diese Farbe aber zutreffend für depressive Phasen? 
	Wohl nur, wenn sie schwach ausgeprägt sind. Dann hat man seinen "Blues", ist 
	"nicht gut drauf". Doch ich kannte Phasen, die schon nicht mehr blau waren, 
	sondern mit schwarz oder grau gemalt werden müssten. Es gibt hier bestimmt 
	mehrere Abstufungen und Intensitäten, so dass es die Depression gar nicht 
	gibt. Und mancher, der mir erzählte, er hätte auch schon trübe Zustände 
	erlebt, meinte zwar, die Depression zu kennen, kannte aber nur das Normale 
	im Leben. Das Blaue. Es ist ein relativ schönes Blau, ein erträgliches Blau 
	im Vergleich. 
	
	Wie würde ich Manie und 
	Depression malen? In der Gestalt des Jin und Jang? Dann bildeten sie 
	zusammen die ideale Einheit. Die aber war bei dieser Störung meines 
	Ausprägungs-Grades nicht mehr vorhanden, das Jin und Jang war hier verzerrt 
	in eine flammende Spirale abwärts und mitunter nur vermeintlich aufwärts in 
	beklemmender Dynamik. Mir ausgefransten Rändern, die ins bodenlose Nichts zu 
	führen drohen. 
	
	Jin und Jang wären also die 
	normalen Ausprägungen dieser gegenteiligen Phänomene. Und bei meiner Störung 
	wären sie übersteigert aus den Fugen geraten, die Hochs und Tiefs des 
	Daseins oszillierten außerhalb des normalen Notenschlüssels. Die Klaviatur 
	der Normalen ließe deren Melodie nicht mehr zu. 
	
	Und die Melodie dieser bipolaren 
	Störung drückte sich jeweils in den individuellen Klangfarben der 
	Einzelpersönlichkeit aus, wie die sonstigen Lebensentwürfe auch. Sie benutzt 
	die Tonarten der Interessen, Hobbys und der jeweiligen Persönlichkeit. 
	
	Ja, so würde es wohl sein. 
	
	Die mir zugewiesene Therapeutin 
	begrüßte mich höflich und nett und versetzte meinen Gedanken einen Ruck. 
	Ihre Lippen waren mit genau derselben Farbe getönt wie ihr Haarband. Rechts 
	trug sie einen Ring, in dem ein schöner Stein gefasst war, ähnlich einem 
	Lapislazuli. Sie lud mich ein, in den Therapieraum zu kommen und brachte 
	einen Zettel mit der Aufschrift "Bitte nicht stören!" außen an der weißen 
	Holztüre an. Diese Türe schloss sich. Sie programmierte die Video-Aufnahme, 
	setzte sich in bewusst aufrechter Haltung schräg seitlich von mir. In 
	verständlichen Worten eröffnete sie mir, dass es sich bei der Therapie, die 
	wir im Begriff waren zu beginnen, um eine Rezidiv-Prophylaxe bei der bipolar 
	affektiven Störung ginge. Es handele sich um zwanzig Einzeltherapie-Stunden, 
	bei denen es darum ginge, fachlicher Experte für die eigene Krankheit zu 
	werden sowie potenzielle Anzeichen und Auslöser depressiver und manischere 
	Episoden zu identifizieren. Weiter solle ich lernen, mit dementsprechenden 
	individuellen Kognitionen wie z.B. Katastrophizieren und Verhaltensweisen 
	umgehen zu lernen und Gegenstrategien, so genannte "Coping"-Strategien 
	einzuüben. Alltägliche Probleme und Konfliktursachen sollten nicht 
	ausgespart bleiben. Sie werde weiterhin dazu ermutigen, die Medikamente so 
	einzunehmen, wie vom Arzt verordnet, denn ein möglicher Auslöser sei oftmals 
	die so genannte fehlende Compliance, die mangelnde Einsicht vor allem in 
	manischen Phasen in die Notwendigkeit der Medikamenten-Einnahme. Ich dachte 
	mir hierbei: "... und die Nebenwirkungen dieser Medikamente, die sind auch 
	auch ein Auslöser für fehlende Compliance".   
	
	"Kollateralschäden" 
	 
	
	Bei den Neandertalern und den 
	Homo sapiens der selben Zeitstufe war man mit vierundvierzig Jahren sicher 
	schon sehr alt und abgenützt. Der Lebenskreis ging zur Neige, wenn er nicht 
	schon vorher beendet worden war. Aber die Lebensumstände waren anders als 
	heute. 
	
	In unserer Gesellschaft ist man 
	mit vierundvierzig Jahren im Zenit des Lebens. Man hat nicht gerne 
	Nebenwirkungen, die einen von diesem Sockel stürzen. Seit ich 
	Psychopharmaka, Neuroleptika und Antidepressiva nahm, litt ich an 
	Nebenwirkungen wie starker Gewichtszunahme, Müdigkeit, Verlangsamung und 
	Sediertheit. Dann an Mundtrockenheit, Beinunruhe und - besonders störend - 
	an einer Verlangsamung des Schließmuskels der Harnröhre. Der Harnstrahl war 
	schwächer geworden, es tröpfelte nach, wie bei einem alten Mann. Außerdem 
	waren Ejakulation und Orgasmus-Erleben mitunter unmöglich, und oft stark 
	beeinträchtigt und verändert. 
	
	Die Stimme meiner Therapeutin 
	brachte mich wieder auf andere Gedanken, weg von Neandertalern und den 
	Ausformungen des Greisenhaften. 
	
	Im Stadium der Manie, so 
	erklärte sie mir, könne es gut sein, dass man meint, man bedürfe der 
	Therapie nicht mehr. Ich solle also jemanden nennen, den sie dann als 
	Ansprechpartner hätte für den Fall, dass ich einfach nicht mehr käme. Wenn 
	sollte ich da nur nennen? Als Erstes fiel mir meine Schwester ein. 
	
	Diese Psychotherapie, so 
	erklärte sie mir weiterhin, geschähe in Ergänzung zur medikamentösen 
	Behandlung, die weiterhin in den Händen meines Arztes bliebe. 
	
	Die Stäbe des Äskulap, 
	die Psychologen und die Laienhelfer 
	 
	
	Ich nahm zu der Zeit 45 mg 
	Remergil, ein sehr teures und relativ neuartiges, sedierendes 
	Anti-Depressivum zur Nacht, zwei Mal 75 mg Trevilor, ein anregendes und 
	ebenfalls nicht billiges Anti-Depressivum am Tag. Dazuhin wegen eines 
	Hörsturzes Pentoxyfyllin, ein die Durchblutung förderndes Medikament. Die 
	Anti-Depressiva hatte mir ein Arzt für Neurologie und Psychiatrie 
	verschrieben, ein Psychiater. Noch vor fünf Jahren hatte ich den Unterschied 
	zwischen Psychotherapeut und Psychiater nicht wirklich gekannt. Wie war es 
	dazu gekommen, dass ich einen Psychiater aufgesucht hatte, was für mich 
	einen schweren Schritt bedeutet hatte, denn ich nicht ohne Not begangen 
	hatte. 
	
	Nun, dieser Psychiater war nicht 
	der erste, den ich aufgesucht hatte. Angefangen hatte es zu Ostern 1998, bei 
	einer Portion Vanilleeis mit Erdbeeren. Nun, genau genommen war dies gar 
	nicht Anfang, weder in Form eines initiums noch eines principiums, aber zu 
	jener Zeit war mir nach einem Verlust-Erlebnis bewusst geworden, dass ich 
	medikamentöse Hilfe brauchte. Verlust-Erlebnisse, wer hat die nicht? Aber es 
	ist bei psychischen Krankheiten in der Regel so, dass die Schwierigkeiten, 
	die zwischenmenschlich bedingten Auslöser alltäglich sind. Es sind 
	Ereignisse, die bei den Normalos wie bei den Psychos vorkommen. Nur schlagen 
	die Auswirkungen im Inneren, sofern man gestört ist, ganz anders aus, 
	Verletzendes verletzt offensichtlich mehr. Man stürzt in seelische 
	Grauzonen, und schließlich in unbekanntes Terrain. 
	
	Oder hat man dazuhin andere 
	Verhaltensmuster? Gibt man zu schnell auf, ist man zu schnell zutiefst 
	getroffen oder zu sprunghaft, so dass man eben mehr Verlust-Erfahrungen und 
	sonstige Probleme auch dadurch hat? 
	
	Bei einer Veranstaltung des 
	Arbeitskreises "Psychiatrie und Öffentlichkeit" in der Stadt, in der ich 
	wohne, hat eine Psychiatrie-Erfahrene, Frau B. den Zustand geschildert, den 
	sie vor einigen Wochen durchlebt hat. Sie erzählte, der Teufel habe nach ihr 
	gegriffen, sie wollte sterben, und er habe mit aller Macht an ihr gezerrt. 
	Nach unten. Auch ein Engel habe an ihr gezerrt und sie schließlich nach oben 
	gerissen. Doch Gott habe gesagt: "Du, das ist noch zu früh. Die B. soll noch 
	ein bisschen auf der Erde bleiben". Dann habe der Engel sie wieder auf die 
	Erde getan. Und jetzt stünde sie hier, und setze sich weiter für die 
	Psychiatrie-Erfahrenen ein. 
	
	Der katholische Dekan, Hausherr 
	und Mitglied der Podiums-Honoratioren, gefragt, was er dazu meine, konnte 
	dazu nichts sagen. Es sei ihm alles fremd, so äußerte er sich, was er hier 
	gehört habe. Eine andere Welt. Befremdend. 
	
	Ich habe Frau B., die vor ihrem 
	Vortrag und danach neben mir gesessen hatte, verstanden, glaube ich. 
	
	Und so einfach kann sich die 
	katholische Erziehung, die Frau B. in ihrer Jugend gehabt hatte, nicht aus 
	der Verantwortung stehlen. Und die Bilder, die immer noch in Kirchen wirken, 
	und oftmals nicht in dem Kontext der Zeitumstände damals erklärt werden. 
	
	Was trennt mich und den Dekan? 
	Die Suizidalität? Einfühlungsvermögen? Die psychische Störung? Die 
	Ehrlichkeit? 
	
	Die psychische Störung drückt 
	sich in dem aus, was auch den Normalos so fremd nicht ist, meine ich. 
	
	Warum tun die dann so, als wäre 
	ihnen dies alles so fremd? 
	
	Dabei braucht der Dekan bloß in 
	ein Wilhelm-Busch-Buch zu schauen, oder in den bebilderten grünen 
	Katechismus seiner und meiner Jugendjahre. Denn er hat das gleiche Alter wie 
	ich. 
	
	Ah, sie merken, ich möchte 
	ablenken. Haarscharf am Thema vorbeireden, oder eher vorbeischreiben. Ich 
	gelobe Besserung. Ich hatte also ein Verlust-Erlebnis. Ein Verlust-Erlebnis, 
	das Sie vielleicht auch schon hatten, möglicherweise. Vielleicht. Ich weiß 
	es nicht. Ein Erlebnis, das für mich so stark war, dass immer mehr drohte, 
	ich könne es nicht bewältigen. Weshalb? Nun, ich war über immens lange Zeit 
	sehr traurig, versteinert, verlangsamt, nicht mehr der Alte, lief wie in 
	trauriger Trance umher, manchmal zu traurig, um traurig zu sein. Ich nahm 
	nichts Schönes mehr wahr. Ich fand mich in der Nacht mit einer Rasierklinge 
	in der Rechten auf der Treppe sitzend wieder. Ich erinnere mich daran, dass 
	ich lange Zeit in der Nacht auf dem Balkon saß, ohne mich zu rühren, nur in 
	der Unterhose. Und es war erst Ostern und demzufolge noch recht kühl. 
	Manchmal rollten mir auf dem Markt die Tränen über die Backen, aber oft war 
	dieser Strom versiegt. Ich wachte immer wieder sehr früh auf und konnte 
	nicht mehr einschlafen. Ich hatte nur traurige, destruktive Gedanken. Sie 
	drehten sich im Kreis, nur um das Eine. Alles war düster. Mir war immer 
	klarer, dass ich diesmal aus eigener Kraft aus diesem Loch nicht mehr 
	herauskäme, dass ich eine Art Beruhigungs-Mittel brauchte. 
	
	Und so trieb mich, bestärkt von 
	der Erinnerung an einige Zeitungsartikel, ein inmitten erstarrter Lava 
	glimmender Funke tief in mir drinnen zum AKL (Arbeitskreis Leben). Dessen 
	Hauptamtlicher hörte mir nur ein bisschen zu, war eher ungehalten, weil ich 
	ihn beim Abfassen eines Artikels störte, und meinte, es wäre besser gewesen, 
	wenn ich einen Termin ausgemacht hätte. Ich war wohl auch nicht dramatisch 
	in meinen Schilderungen. Außerdem habe ich eine vorgefasste Meinung 
	gegenüber Hauptamtlichen. Jedenfalls verneinte er: Er könne mir kein 
	Beruhigungsmittel verschreiben. Ja, wer dann? Ein Arzt, aber es sei wohl 
	besser, hier zu einem Facharzt zu gehen. 
	
	Was für ein Facharzt? Naja, er 
	nannte mir einige Psychiater aus der Gegend. Doch ich hatte über einige 
	schon Schlechtes gehört, sie seien selber reif für die Psychiatrie und so 
	weiter. Ob er mir eine Auswahl aus dieser Liste empfehlen könne? Das dürfe 
	er nicht. Mit wem er denn schon zusammengearbeitet und gute Erfahrungen 
	gemacht habe. Er nannte mir schließlich zwei, drei Adressen, die ich 
	notierte. 
	
	Die erste Telefonnummer rief ich 
	am selben Nachmittag an. Der Arzt sei im Urlaub, hieß es. Doch ich hatte das 
	Gefühl, es sei dringend mit diesem Beruhigungsmittel. 
	
	Doch der zweite auf meiner 
	Liste, das war .... der Chefarzt der psychiatrischen Abteilung der Stadt, in 
	der ich lebe. Ohje! 
	
	Das war starker Tobak. Der gibt 
	sich doch nicht mit meinem Schnickschnack ab. Der schickt mich bestimmt zum 
	Teufel, nimmt mich wahrscheinlich gar nicht an. Oder, er behält mich gleich 
	hier. Beides waren keine guten Perspektiven. 
	
	Ich rief trotzdem an. 
	Normalerweise ginge das nicht, meinte die Vorzimmerdame, aber er nahm mich 
	schließlich doch und gab mir einen Termin, in der psychiatrischen Abteilung. 
	
	Die Psychiatrie befand sich in 
	den Räumen eines alten Krankenhauses. Während das Kreiskrankenhaus hoch 
	droben auf dem Berge lag, weithin sichtbar, mit modernen Gebäuden, 
	beleuchtet und mit Hubschrauber-Landeplatz, lag die Psychiatrie unten am 
	trüben Fluss. Alte Räume beherbergten die Kranken. Die Balkone waren 
	vergittert, die Fenster mit Plexiglasstreifen gesichert. Die Türen der 
	Stationen verschlossen, von innen. Die Gänge und Zimmer in tristem 
	Beige-Creme, mit hölzernem Handlauf in Hüfthöhe. Ab und zu ein großes Bild 
	mit wildem Action Painting, ähnlich den Bildern, die Schimpansen malen, 
	denen man Farbe und Pinsel zur Verfügung stellt. Alles erinnerte irgendwie 
	an ein Gefängnis. Und an unmündige, nicht für voll Genommene ... 
	
	Nachts stoben die Fledermäuse um 
	das Gebäude. Ab und zu starrte jemand auf dem Balkon durch die waagrecht 
	angebrachten Plexiglas-Streifen, die wie transparente Gitter wirkten. 
	
	Doch die Bauteile der 
	Psychiatrie waren schön zwischen hohen und alten Bäumen gelegen. In der Nähe 
	befand sich ein alter, aufgelassener Friedhof mit schönen alten Grabsteinen 
	und ebenfalls prägnanten Baumveteranen und die Bodelschwingh-Schule für 
	geistig behinderte Schüler. 
	
	Gefängnis, geistig behindert, 
	geisteskrank, Friedhof, wirre Bilder des Chaos. Zufall? Sind dies nur 
	Assoziationen, die ich hatte? 
	
	Der Fluss wälzte sein trübes 
	Wasser faulig-grau vorbei. 
	
	Doch die Gemächer des Chefarztes 
	lagen in einem freundlichen Bauteil. Die Sonne schien, man sah schön auf den 
	Garten, wenn man den Gang zu ihm lief, das Grün war frisch. Es irrlichterte 
	kein hysterisches, irres Gelächter durch die Gebäude, keine Schreie waren zu 
	hören, jedenfalls meistens nicht. Jedenfalls hier unten nicht. Man ging an 
	einer Cafeteria vorbei, an deren kleine Tische Viele saßen, die nervös an 
	ihrer Zigarette sogen und den Neuankömmling, der ihre triste Langeweile 
	unterbrach, musterten. Sie waren normal gekleidet. 
	
	Die Tür, hinter der er 
	residierte, war eine doppelte Tür. Schalldicht. Jedenfalls habe ich das so 
	in Erinnerung. 
	
	Wenn ich einen Psychiater malen 
	müsste, ich würde ihn malen so wie er da stand. Der typische Psychiater! Ein 
	Bart wie Sigmund Freud. Sorgfältig gestutzt. Brille. Er war sehr groß 
	gewachsen, schlank. Er trug ein unauffälliges, braunes Sakko. Das Zimmer 
	eingerichtet wie bei einem Psychiater. Auf ein Sofa musste ich mich nicht 
	legen, ich durfte in einem bequemen Ledersessel Platz nehmen. 
	
	Er wirkte sehr gütig und 
	keinesfalls borniert. 
	
	Wie beginnen? Nun, ich sagte 
	zunächst, dass ich mit meinen Problemen bei ihm wohl eine Nummer zu hoch 
	angesiedelt sei, aber der andere Arzt, der mir genannt worden wäre, der sei 
	im Urlaub. Und er sei mir empfohlen worden, vom AKL. Er lächelte milde und 
	zeigte durch ein leichtes Nicken an, dass ich fortfahren könne, dass er 
	gewillt war, mir zuzuhören. 
	
	Er hörte mir eine geschlagene 
	Stunde lang zu. Schließlich konstatierte er, ich hätte eine 
	Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion bei Partnerschaftskonflikten. 
	Eine Anpassungsstörung wurde damals zu den Depressionen gerechnet. Auf ein 
	als dramatisch empfundenes Ereignis erfolge keine rechte Anpassung, so die 
	damalige Meinung. Eine Anpassungsstörung sei zeitlich begrenzt, las ich. 
	Nach einem halben Jahr sei sie vorbei, las ich später. Wichtig schien ihm 
	hierbei die Frage zu sein, ob ich Einschlafschwierigkeiten habe oder früh 
	aufwachte. Ich erzählte von Einschlafschwierigkeiten, die ich eben auch 
	hatte. Dass ich ja auch mitunter sehr früh erwachte und nicht mehr 
	einschlief, das kam mir erst später. Natürlich hatte ich auch eine Tendenz, 
	die Dinge nicht zu dramatisieren, denn ich hatte schließlich keine Lust, 
	dass er sagte, das Beste sei, ich bliebe erstmal hier. Vielleicht ließ ich 
	deswegen das Eine oder Andere weg bei meinen Schilderungen. Doch endlich 
	zückte er einen Block und meinte, er sei sich nicht sicher, ob es bei mir 
	wirke, aber er verschreibe mir doch Zoloft, ein Antidepressivum. Ich solle 
	eine Tablette an Abend nehmen, und wenn es nach zwei Wochen nicht besser 
	wäre, auf zwei hochgehen, aber nicht mehr. Und ich solle wieder kommen. 
	
	Es war immer sehr interessant 
	bei ihm. Wir sprachen über Bodelschwingh, über christliche Ethik, er 
	erzählte mir von seinem Vater, der Theologe gewesen war und eröffnete mir 
	nach einiger Zeit, ein Problem von mir sei, dass ich meine Aggressionen 
	nicht nach außen richte, wo sie hingehörten, sondern gegen mich selbst. 
	Aggressionen seien nichts Schlechtes, sie seien wichtig, aber schlecht sei 
	es, sie gegen mich selbst zu richten. Ich sei aggressionsgehemmt. 
	
	Nun, ich war bestimmt so 
	strukturiert, dass ich Fehler immer zunächst bei mir selbst suchte, bevor 
	ich überhaupt daran dachte, dass bei anderen auch Übles sein konnte, da 
	hatte er bestimmt Recht. 
	
	Und Gewaltlosigkeit war ein 
	großes Ideal von mir. Und - um ehrlich zu sein - ich war schließlich auch 
	kein Preisboxer. Rangeleien ging ich schon immer lieber aus dem Weg. 
	
	Er zeichnete mir mit einem 
	Kugelschreiber auf, wie das Zoloft an den Synapsen wirkt. Wie es den 
	chemischen Überträgerstoff Serotonin in dem synaptischen Spalt zwischen den 
	Nervenzellen hält, damit es länger wirken kann. Und ich erklärte ihm, dass 
	ich keine Psychotherapie brauche, weil ich sehr gut selber reflektieren 
	könne. Das akzeptierte er, bestellte mich aber wieder her. 
	
	Er erzählte auch von sich 
	selber, von daheim, schilderte in Beispielen, dass er auch Alltagskonflikte 
	habe. 
	
	Manchmal war er müde, ich kam 
	immer abends, da hatte er bestimmt einen langen Arbeitstag hinter sich. 
	Seine Vorzimmerdame war immer sehr freundlich zu mir und er eigentlich auch. 
	
	Was ich viel später von ihm 
	erfuhr: Sein Vater hatte sich ums Leben gebracht, jedenfalls hatte er es mir 
	einmal erzählt, als ich später von der Polizei eingeliefert wurde in seine 
	Abteilung, weil ich auf einer sehr hohen Brücke aufgegriffen worden war, ich 
	hatte den Zaun des Viadukts überwunden, und sein Vater war 
	manisch-depressiv, das erzählte er in einem seinem Vorträge, die ich heute 
	noch gerne besuche. 
	
	Ach ja, beim Bossing meines 
	Chefs hat mir eine Hauptamtliche des AKL gut geholfen und der Personalrat. 
	Und mein ehemaliger Kollege. So konnte ich das Ganze offen angehen und die 
	erste Runde stoppen.  
	
	Unaufhaltsamer Abstieg von 
	der Sonnenspitze 
	
	  
	
	"Der Verlust des schönen Blau" oder,"Auf 
	der Sonnen-Spitze", von einem Freund, 1998, Alle Rechte vorbehalten
	 
	  
	Das 
	Blau ist verloren, so unerreichbar fern, 
	
	Blau, ja blau, sie hatte es so gern  ... 
	
	Unten der See ist so weit weg 
	Das 
	Wasser des Lebens, rein, ohne Dreck 
	Das 
	Kreuz ist zerschmettert, nichts gibt mehr Halt 
	Mein 
	Maßstab vermodert am Boden bald 
	
	Traumfänger schwebt haltlos, ist nicht mehr Schmuck 
	der 
	Schönen, die blau mag, ist nur mehr Trug 
	Er 
	lässt nur noch trüb durch, filtert nicht mehr ab 
	die 
	schlechten Träume von Grauen und Grab 
	Der 
	Sog der Tiefe, er ist so stark 
	
	schwach die Knie, tragen sie hinab? 
	 
	 
	Ich 
	nahm bereits Zoloft, ein Anti-Depressivum aus der Gruppe der 
	Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, also wird es im Sommer 1998 gewesen sein, 
	als mein Bergfreund H., gleichzeitig der Stellvertreter meines Chefs, mich 
	motivierte, in die Berge zu gehen, nicht die schlechteste Remedur. Wir waren 
	früher bereits gemeinsam über den Jubiläumsgrat zwischen Zugspitze und 
	Alpspitze balanciert, hatten dort wegen eines Gewitters eine Nacht lang 
	biwakiert und das Regenwasser mit einer rostigen Getränkedose aufgesammelt 
	und waren dann über das Mattheisenkar und durch einige Gemsen ins Höllental 
	abgestiegen, von wo wir anfangs die Zugspitze erstiegen hatten. Klamm doch 
	froh kehrten wir durch die Klamm zurück. Nun, solch eine lange Tour sollte 
	es nicht werden, aber auf die Ehrwalder Sonnenspitze wollten wir schon, die 
	Sonne putzen, und auch der Klettersteig am Wasserfall war verlockend, doch 
	der Rucksack zu schwer. 
	  
	Wir 
	fuhren zuerst auf die Ehrwalder Alm, aber dann das Auto wieder herunter und 
	hasteten hinauf. Dort sprachen wir dem Elektrolyt zu, das aus Wasser, Malz 
	und Hopfen hergestellt wird. Am nächsten Morgen hatte H. den großen Zeh 
	gebrochen. In der Nacht hatte er das verständliche Bedürfnis verspürt, seine 
	Blase zu leeren, war - rücksichtsvoll wie er war, über den dunklen Gang 
	getapst in Richtung Klo, hatte aber in seiner Erinnerung eine massive Truhe 
	nicht abgespeichert, was ihm nun zum Verhängnis wurde. So war der Zeh 
	gebrochen. 
	Dies 
	hinderte ihn aber nicht, zur Coburger Hütte mit aufzusteigen, und dann 
	gleich weiter zur Sonnenspitze, eine leichte Kletterei. Das Seil trug ich 
	zwar mit, aber wir gebrauchten es nicht. Oben stand ein neues Gipfelkreuz, 
	der hölzerne, verwitterte Balken und Pfosten des Vorgängers lag malerisch 
	auf dem Boden, was mich später zu einem Aquarell anregte. Am Schönsten aber 
	war tief unten der Seeebensee, ein Juwel aus Türkis, Azur und Ultramarin, so 
	verheißungsvoll wie der gleichfarbige Türkisschmuck anmutiger Frauen. Der 
	Frau, die ich oben etwas unpoetisch "Verlusterfahrung" genannt habe. Mit dem 
	Schmuck, den ich ihr geschenkt hatte. Doch der innere Traumfänger ließ nun 
	schlechte Gedanken durch, anstatt sie aufzuhalten. Meinen Neuronen waren in 
	beunruhigenden Bahnen vernetzt, und die Chiffre "Türkis" hatte deren 
	Geisterbahnfahrt ausgelöst. So konnte ich den Ausblick nicht genießen. Ich 
	musste zurücktreten, hinter die klobigen Kalkblöcke der Kante, damit mich 
	der gewaltige Sog in die lockende Tiefe nicht mitriss. Ich war ja nicht 
	alleine hier. Was aber wäre, wenn ich alleine hier oben stünde? 
	  
	H. 
	trat neben mich. "Einfach wunderschön, der Ausblick!" - Ja, so musste es 
	wohl sein.   
	
	Durch die gleiche Route stiegen wir wieder ab, und halfen dort einem 
	Jugendlichen, der von seiner nicht sehr viel älteren Begleiterin einfach 
	zurückgelassen worden war und den Abstieg in die gähnende Tiefe nicht mehr 
	bewältigte. So stieg einer, ich vermute, ich war's, ihm voraus und nahm ihm 
	den Blick in die Tiefe, zeigte ihm Tritte und der andere werkelte beruhigend 
	an dessen Kopfende. Optimismus verbreiten, ja, das kannte ich gut, diese 
	Rolle konnte ich spielen. 
	Mit 
	großem Genuss kletterten wir trotz des Zehenbruches noch die Altherren-Route 
	und den Yeti im Klettergarten. Ich stieg verständlicherweise vor, hatte ich 
	doch gesunde Zehen. 
	Was 
	allerdings bereits bedenklich war: Ich konnte so gut wie nicht schlafen. War 
	dies das wieder frühe Morgen-Erwachen der Depression? Wann würde es weichen? 
	Wann wieder kommen? 
	  
	Doch 
	die Eindrücke der schönen Landschaft war ich noch imstande aufzunehmen, 
	bedingt zwar, aber es ging ab und zu. 
	Ein 
	so schönes Gebiet wollte ich mit meinem Sohn teilen, der damals fünf Jahre 
	alt war. Meine Tochter war damals zu klein dafür. So fuhr ich einige Zeit 
	später mit ihm wieder dorthin. 
	
	Natürlich machten wir beim Aufstieg ausgiebig Rast bei den Pferden, die 
	unsere Brötchen essen wollten, bei einem Ameisenhaufen, einem Frosch, dem 
	Bach, an der Seeebenalm, ließen am Seeebensee ein gelbes Boot an einer 
	Schnur fahren, und suchten Edelsteine, und durchwanderten davor statt brav 
	des Weges zu trotten das wesentlich abenteuerlichere Bachbett. Einige Kühe 
	versperrten uns den Weg, doch wir stellten uns ihnen kühn. 
	
	Unsere Kletterrouten führten vom Klosett in die Felsen einige Meter oberhalb 
	des Klettergartens und in die Altherrenroute. Weiterhin erkundeten wir den 
	Drachensee, fanden dort einen Knochen, beobachteten Murmeltiere, stiegen auf 
	in Richtung Drachenspitz, bauten aus Steinplatten einen Privatweg und 
	belauschten eine Gämse. Das Füttern der Alpendohlen, Streicheln des 
	Bergrettungs-Hundes, der Kaiserschmarrn von Reinhilde, nächtliche Touren mit 
	der Stirnlampe durch die Holzhütte und eine Sprengung in Hüttennähe mitten 
	während des Abendessens bildeten weitere Höhepunkte für meinen Sohn. 
	Nur 
	der Abstieg über den Klettersteig war kein reines Vergnügen für ihn. Ich 
	hatte ihn am kurzen Seil, aber an manchen ausgesetzten Stellen schlug er 
	wütend gegen den Fels und wollte nicht weiter. Nur gutes Zureden half. 
	  
	
	Später malte mein Sohn mir über diesen Bergausflug ein tolles Bild. 
	
	Dann, ein oder zwei Jahre später, ging ich mit einer befreundeten Familie 
	wieder dorthin. Wir stiegen über den Klettersteig auf, was mir bereits Mühe 
	bereitete, denn ich hatte hauptsächlich wegen der Psycho-Pharmaka (Taxilan, 
	Truxal, Equilibrin, Saroten) sehr zugenommen, und bestiegen die Hintere 
	Thajaspitze. 
	
	Diese Spitze hatte ich bereits unter winterlichen Bedingungen erstiegen, als 
	ich mit meiner Schwester und K. zu Pfingsten zum ersten Mal hier gewesen 
	war, wir flugs aufgestiegen sind und dann im Dunkeln, in Nebel und Schnee 
	kurz vor knapp die Hütte gefunden hatten. Die Nacht im dortigen Winterraum 
	hatten wir mit den Hüttenmäusen verbracht. 
	Dann 
	tobte sich Fritz am Klettergarten aus. Von mir gesichert durchstieg er 
	sämtliche Routen. Ich selber schaffte keine einzige mehr. 
	Was 
	ich damit sagen will: Ich hatte binnen ein, zwei Jahren körperlich und 
	sportlich enorm abgebaut, Sinnbild meiner ab da unaufhaltsamen Abstiege. Bis 
	heute hatte ich das nicht wieder ausbügeln können. Woanders aber aber hatte 
	ich zugebaut. Die Rundung nach außen in Nabelhöhe hält sich hartnäckig. Und 
	nicht nur hier zieht ein enormes Gewicht nach unten.   
	 
	 
	
	Voranschleppen  
	 
	  
	
	Unendlich müde schleppe ich mich voran. Durch die Stadt. Sogar die 
	Augenlider offen zu halten kostet Mühe. Ich will niemandem begegnen, 
	niemanden grüßen müssen. Die Szenerie um mich herum nehme ich nur 
	schemenhaft wahr. Es ist schon dunkel geworden. Ein mit Glühbirnen 
	adventlich umrahmter Giebel, noch einer, das Kopfsteinpflaster, hier muss 
	ich abbiegen. 
	
	Daheim laste ich auf dem Sofa, hingeschüttet wie Wasser. Ich möchte keinen 
	Muskel rühren. Im Magen ein ganz komisches Gefühl. Klare Gedanken sind nicht 
	greifbar. 
	
	Etwas vom Boden aufheben - wie schrecklich. 
	Sich 
	morgens anziehen - fast unmöglich, alles ist so schwer. 
	Der 
	Gesichtsausdruck ist nicht traurig, sondern leer, ausdruckslos.   
	 
	 
	
	Thema Nummer Eins  
	 
	  
	Viel 
	Kopfzerbrechen steckt hinter den dürren Sätzen, die nun folgen werden. Wie 
	viel soll ich der nach diesem Thema gierenden Öffentlichkeit preisgeben? Wie 
	viel dieses Zugpferds vor neugierigen Blicken verbergen? 
	Mit 
	Rücksicht auf Jene, die mir lieb und teuer sind, und mit Rücksicht auf jenen 
	Anteil meines Selbst, der einem teuer sein sollte, habe ich mich für 
	Zurückhaltung entschieden, die im Zweifelsfall auf Kosten der Zugriffe gehen 
	wird. Soll sie! 
	Nur 
	so viel: Sie können sicher sein, dass auch hier alles überschäumend verlief 
	und wohl immer noch geschieht und geschehen wird. Die Höhenflüge führten in 
	frischere Luft so klar wie Champagner und waren gleißend wie das von 
	ungefilterter Sonne beschienene ewige Eis, dessen Spalten mit einer 
	phänomenalen Farbabstufung in ultramarinen Tönen aufwarten, die Tiefen aber 
	in Niederungen, die akut lebensbedrohlich waren. Höhen wie Tiefen der Liebe 
	kennt bestimmt fast Jede und Jeder, die Ausschläge des Erlebens aber waren 
	bei mir - so weiß ich jetzt in der Mitte oder am Ende meines Lebens - 
	intensiver. 
	Das 
	kann sehr schön sein - pfeilschnelles Segeln in hohen Gefilden der Liebe 
	weit über Wattewölkchen, wo andere sich durch Schlingpflanzen hindurch 
	wühlen und vielleicht lediglich flattern - , aber wehe, wenn der Absturz 
	kommt: Da ist es dann gut, wenn man nicht so hoch war und die 
	Schlingpflanzen, nun nicht behindernd, einen abfedern, vermute ich mal. Ich 
	jedenfalls und viele meiner Leidensgenossinnen und Leidensgenossen drohen 
	hierbei zu zerschellen. Zurück bleibt eine unförmige Masse oder ein 
	Fettfleck. Die Flügel, jene schwungvollen Fittiche, sie sind nichts mehr als 
	Trümmerbrüche. 
	
	Vielleicht verstehen Sie es, liebe Leserinnen und Leser, wenn ich bei diesen 
	Höhenflügen nicht ins Detail gehe. Jene, die sich mit mir aufschwangen im 
	Laufe meines Lebens, und immer noch mitschwingen, sind mir lieb und teuer. 
	Diese Sparte also bleibt verborgen in meinem und deren geistigen 
	Schatzkästchen, tut mir Leid für Sie. 
	
	Einen schwachen Trost habe ich für Sie: Sie können von anderen Kapiteln her 
	hochrechnen. ;-) 
	  
	Und 
	nun einen weniger schwachen Trost: Was andere lediglich über Wochen belastet 
	- Liebeskummer - oder höchstens ein Jahr - Trennung - , das lastet bei mir 
	das ganze Leben, ganz schrecklich zumindest über viele Jahre. Diese 
	Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen haben Sie nicht, und das ist 
	mehr als ein schwacher Trost. Ist das nur bei mir so? Oder ist das typisch 
	für Manisch-Depressive? Wenn ich jedenfalls eine sehr gute Biographie über 
	Vincent van Gogh lese, eine frühere Doktorarbeit, dann wird mir vieles klar, 
	auch wenn der Verfasser nicht wusste, dass von Gogh manisch-depressiv war. 
	Woher auch? Wenn er es nicht selber ist, dann kann er es nicht merken. 
	 
	 
	 
	
	Gene   
	
	Wieso hat die Natur die im Erbgut verankerten Informationen für die bipolare 
	Störung im Laufe der menschlichen Evolution nicht ausgemerzt? Kann es sein, 
	dass diese Störung auch gute Seiten hat, die in der Entwicklung der Menschen 
	Vorteile boten? Möglicherweise bot das gesteigerte Interesse an Erotik und 
	Sex und die gesteigerte Aktivität und das innerliche wie äußerliche 
	Aufblühen während manischer Phasen die Gewähr dafür, dass das Erbgut mit den 
	bipolaren Mustern weiter gegeben wurde. Oder das auffällige 
	Sich-Heraus-Putzen? Und die depressiven Phasen sparten möglicherweise 
	Energie in Zeiten des Mangels. 
	
	Vielleicht ist etwas daran. 
	  
	
	Vielleicht aber ist diese Störung einfach eine Störung wie andere, wie 
	Diabetes, Schizophrenie und Mucoviszidose. Auch dort stellt sich ja die 
	Frage, weshalb die Erbstrukturen dieser negativen Dinge nicht im Laufe der 
	Evolution negativ selektiert wurden, weil sie keinen Vorteil bei der 
	Weitergabe des Erbguts boten, sondern nachteilig waren für die Fortpflanzung 
	wie für das Leben. 
	Dann 
	stellt sich auch die Frage: Inwieweit ist die bipolare Störung überhaupt 
	oder von äußeren Bedingungen und Reizen mit hervorgerufen? Ist ein Teil 
	angeboren, der uns kreativ, aber auch überdreht macht? Ist ein Teil 
	angeboren, der uns verwundbar und empfindlich gegenüber sozialem Stress 
	macht? 
	  
	Ist 
	diese Krankheit in den Ethnien gleich verbreitet? Kommt sie schlimmer in den 
	industrialisierten Staaten zum Ausdruck? Oder ist es umgekehrt? 
	Ich 
	habe mich entschlossen, an einem Gen-Projekt teilzunehmen, und mein Erbgut 
	zur Analyse bereitzustellen. 
	  
	Man 
	könnte heraus finden, weshalb manche Medikamente bei den einen nicht wirken. 
	So könnte die Herum-Probiererei ein Ende haben und schnelle Hilfe bewirkt 
	werden. 
	
	Aber: Könnten nicht auch die Krankenkassen irgend wann eine DNA-Probe 
	verlangen, und einen dann ablehnen oder mit höherem Beitrag drangsalieren, 
	wenn man manisch-depressiv ist? 
	Ist 
	nicht alles auch zum Schlechten verwendet worden? Die Forscher hatten die 
	Ehre, aber was daraus gemacht wird, liegt nicht mehr in ihrer Verantwortung. 
	Kann man das so gelten lassen?  
	  
	
	Manie 
	  
	
	  
	
	Höhenflug und Schatten, von einem Freund, 
	2001 
	  
	
	Niederungen und Höhenflüge 
	"Da 
	oben spielt sich das Leben nicht ab! 
	Da 
	unten geschieht es, steig endlich herab!" 
	Doch 
	bloß im Sumpf des Alltags verenden 
	Das 
	will ich nicht, will lieber mich blenden ... 
	Ohne 
	dort oben wär' dort unten mein Grab! 
	
	Aquarell und Gedicht wurden für diesen Zweck überlassen von einem Freund :-) 
	  
	Mich 
	treibt es in das Aquariengeschäft nach R. Ich bestaune alle Becken und kaufe 
	schließlich zwei Büschel Wasserpflanzen. In P. kaufe ich zwei weitere 
	Pflanzen, eine grüne Tigerlotus-Pflanze und eine Pflanze, deren lateinischer 
	Artnamen an meinen stellvertretenden Chef erinnert und die ich deswegen 
	kaufe. Vier Japan-Garnelen und ein Paradiesfisch-Weibchen, ein 
	Nil-Kugelfisch, zwei Elefanten-Rüsselfische, weiter Fischfutter, 
	Salinenkrebschen und Futter für diese Krebschen nehme ich außerdem noch mit. 
	Mindestens zehn Aquarien-Bücher leihe ich mir in der örtlichen Bibliothek in 
	N. aus, fünf weitere in B. In N. besorge ich zwei Kampffisch-Weibchen und 
	ein Paradiesfisch-Männchen. Wieder in R. kaufe ich eine rote 
	Tigerlotus-Pflanze, zwei Garnelen, ein Pärchen Kleine Maulbrüter, die auch 
	im Albert-See in Uganda vorkommen, wo ich einmal war und zwei 
	Purpur-Prachtbarsche, ein Nachzucht-Weibchen und ein Wildfang-Männchen. 
	Vielleicht gelingt mir die Nachzucht. Deswegen kaufe ich noch eine Kokosnuss 
	mit Löchern, damit die Fische eine Kinderstube haben. Ich setze die Tiere in 
	insgesamt fünf Aquarien. 
	Das 
	Suchen und Abspeichern einiger Midi-Dateien im Internet nach dem Aufwachen 
	lenkt mich so ab, dass ich zu spät an meinen Arbeitsplatz gehe. 
	An 
	meinem Arbeitsplatz schaffe ich für drei. Alles fällt leicht, alles läuft 
	spontan. Ich verliebe mich in eine Kollegin. Alles ist in goldenes Licht 
	getaucht. Die Farben sind so intensiv, sogar die Auto- und Straßenlichter an 
	einem tristen, verregneten Abend, sind so richtig schön und interessant. Ich 
	koche in Rekordzeit und es schmeckt ihr sogar.   
	 
	 
	
	Depression   
	  
	Ich 
	liege morgens im Bett und bin völlig matt. Schon das Socken-Anziehen ist 
	eine übermenschliche Anstrengung. Ich muss mich vor dieser Prozedur 
	ausruhen, und danach auch. Ich schleppe mich die Treppen hinunter, und liege 
	den ganzen Vormittag auf dem Sofa. Draußen ist alles kahl, die Zweige des 
	Strauches wiegen sich im Wind. Ich fröstele und fühle mich abscheulich. 
	  
	Ich 
	habe Angst davor, die Wohnung zu verlassen und einzukaufen. Das Einkaufen 
	mit all seiner sonst unbemerkten Anstrengung ist eine Last, die ich mir 
	nicht zutraue. 
	
	Fahre ich in einem Auto mit, dann ist da ein Drang in mir, die Türe 
	aufzureißen und mich herauszustürzen. Aber dazu müsste ich mich ja 
	losschnallen. Und entscheiden. Und aufraffen. 
	  
	Gehe 
	ich über eine Brücke, dann halte ich entweder Abstand vom Geländer oder 
	starre darüber. Wäre ich gleich tot, wenn ich mich hinunter stürzte? Wie 
	müsste ich fallen, damit es schnell vorbei ist? 
	  
	Auch 
	das Treppenhaus im Krankenhaus lockt. Es ist sehr hoch. Reicht die Höhe aus, 
	damit es gleich vorbei ist? 
	  
	Aber 
	die Energie reicht nicht, diese Gedanken in die Tat umzusetzen. 
	
	Meine Lebens-Energie tendiert gegen Null. 
	Die 
	Zeit dehnt sich endlos. Sie geht und geht nicht vorbei. Am Schlimmsten ist 
	es draußen in der Kälte, wenn die Kinder Schlitten fahren und ich auf sie 
	aufpasse. Schrecklich! 
	Und 
	wie viele Sachen man im Winter anziehen muss! Wofür sonst kein einziger 
	Gedanke verschwendet wird, weil es kein Problem darstellt, mutiert zu einem 
	abweisenden, unersteigbaren Berg. 
	  
	
	Schon das Aufstehen ist eine unendliche Qual, die so viel Energie 
	verbraucht, dass das Anziehen unmöglich wird. Allein die Socken über die 
	Füße zu streifen! Da müsste man sich ja bücken! Und die Ferse ist so 
	hinderlich. 
	Ich 
	werfe einen Zettel in den Papierkorb. Er fällt daneben. Wieder muss ich mich 
	bücken, wie schrecklich! 
	  
	Den 
	Weg zur Garage, in dem das Fahrrad steht, schaffe ich nur mit allergrößter 
	Mühe. Einen Fuß setze ich vor den anderen, jeder Schritt verbraucht wieder 
	endlos Energie, die ich nicht habe. Mir geht es wie einem Elektro-Gerät, 
	dessen Stecker aus der Steckdose gezogen wurde. Noch ein bisschen Energie 
	ist vorhanden, mit der kann man aber keinen Stich machen und sie wird immer 
	weniger. Komme ich bis zur Garage? Und was dann? Wie auf das Fahrrad kommen? 
	  
	All 
	diese Bewegungsabläufe sind pure Alltäglichkeit. Tag für Tag sind sie 
	abgelaufen und ich habe keinen Gedanken daran verschwendet. Das bisschen 
	hierfür nötige Energie war fraglos vorhanden. Jetzt grenzen sie an schiere 
	Unmöglichkeit. 
	
	Selber kochen? Vergiss es! Und wenn: Es wird das absolute Chaos, die Energie 
	reicht gerade für das Nötigste und nicht mehr für das Aufräumen. So wie im 
	Zimmer daneben auch. 
	Die 
	Kälte, die draußen herrscht, ist ein weiterer Hemmschuh. Auch sie hat früher 
	nie gehindert. Wie oft wurde ich darauf angesprochen, wie gut ich die Kälte 
	vertrage. Es hieß, "au, schaut, Nup krempelt sich die Hemdsärmel hinunter", 
	im Schneegestöber des Gebirges, "es wird Zeit bei uns für den zweiten 
	Kittel". Früher, ja, das ist lange vorbei. Vorbei, vorbei! Alles ist vorbei! 
	Es wird nie wieder werden! 
	 
	 
	
	Arbeitsplatz   
	  
	Ich 
	war beliebt an meinem Arbeitsplatz, alles fiel leicht, ich hatte keine 
	Probleme. Und ich machte so viel nebenher. Doch nachdem ich 
	krankheitsbedingt eine lange Weile ausgefallen war, und durch eine 
	Wiedereingliederungs-Maßnahme wieder eingestiegen war, ging mein Chef zu 
	üblem Bossing über. Ich hatte einen Fehler gemacht. Die Krankmeldungen waren 
	von meinem Facharzt für Psychiatrie, und nicht vom Allgemein-Mediziner. 
	
	Wohlgemerkt: Nicht meine Krankheit führte zum bossenden Boss, sondern das 
	vage Wissen um eine psychische Krankheit und eventuell Nebenwirkungen der 
	Medikamente, die sichtbarer waren als Symptome der Krankheit! 
	Er 
	sorgte auch dafür, dass es am Arbeitsplatz bekannt wurde, dass ich psychisch 
	krank war/bin. Nicht so, dass man es ihm hundertprozentig nachweisen kann, 
	aber ich weiß es. 
	
	Dinge, die früher ohne weiteres gingen bei mir und meinem früheren Kollegen 
	werden jetzt sofort kritisiert. Die Argusaugen des über mich gestellten 
	Psychopathen, der selber nie zur Behandlung geht, machen mir das 
	Berufsleben, das ich vorher mochte, zur Qual. Was bei anderen immer noch 
	toleriert wird, wird bei mir kritisiert. Dabei müsste es anders herum sein: 
	Nicht strengere Maßstäbe, sondern mildere Maßstäbe sollten an Erkrankten 
	angelegt werden. Doch er schwächt meinen Rücken, nachdem ich angeschlagen 
	bin, statt ihn zu stärken. Er legt viele Steine in den Weg. Und die meisten 
	Kollegen sind feige, haben kein Standvermögen und machen "duck and cover", 
	wenn sie nicht selber voreingenommen reagieren. 
	  
	
	Dabei ist ein gutes Arbeitsklima wichtig für gute Leistungen. Und ein 
	schlechtes Krankmacher Nummer Eins. 
	Ich 
	habe für Bosser nur Verachtung übrig. Sie kaschieren fehlende innere Größe 
	auf eine ganz üble Weise. :-//   
	 
	 
	
	Scheitern der Ehe  
	 
	  
	Die 
	Ehe lief die letzten sieben Jahre nicht gut. Das hatte zunächst nichts mit 
	der Krankheit zu tun. Dummerweise hatte sich meine Frau im Hinblick 
	Partnerschaft sehr verändert, in negative Richtung, nach meinem Empfinden 
	mehr als ich. 
	  
	In 
	der Manie büxt man aus Kompromissen aus. So hatte ich eine Liebesbeziehung 
	zu einer Kollegin, gestand das aber meiner Frau, und wollte, dass sich in 
	unserer Ehe wieder etwas zum Positiven ändert. Meine Frau ist dazuhin auch 
	behandlungsbedürftig, aber als ihr das mein Psychiater sagte, ist sie nie 
	mehr mitgegangen. Er sagte auch zu ihr, sie habe eine verzerrte Sicht der 
	Realität, ich hingegen sähe die Dinge klarer. Naja, vielleicht ist es ja 
	auch nur eine Routine-Maßnahme der Ärzte, erst einmal für ihre Patienten 
	einzustehen und sie für sich zu gewinnen. ;-) .Andererseits: Ich habe drei 
	Mal probiert, über eine Psychologische Beratungsstelle die Ehe zu retten, 
	als es dann aber offen sichtlich wurde, was auch bei ihr im Argen lag, ist 
	sie auch dort nicht mehr mit hin gegangen. 
	  
	
	Immer wenn ich Stress mit meinem Chef hatte, hat sie mich nicht gestützt, 
	sondern mir auch noch eins drauf gesetzt, nach dem Motto: Der hat doch 
	Recht. 
	Wenn 
	jemand gemobbt wird, dann gleich noch mal feste druff! 
	Dies 
	ist eine äußerst ungünstige Konstellation. :-/ 
	Und 
	hat mit Liebe nichts mehr zu tun. 
	  
	So 
	leben wir getrennt und werden demnächst geschieden. Ich will nun nichts 
	weiteres Schlechtes über meine Frau sagen, denn man muss dann ja auch die 
	andere Seite hören. ;-) Außerdem muss ich immer denken, wenn andere mir 
	gegenüber über getrennte Partner vom Leder ziehen: Warum hast Du ihn/sie 
	dann geheiratet? ;-)   
	 
	 
	
	Kognitive Verhaltenstherapie 
	 
	  
	Ja, 
	die kognitive Verhaltenstherapie im Psychologischen Institut T. war 
	abgestimmt auf die manisch-depressive Krankheit. Sie war sehr gut. Ich 
	lernte, meine Phasen selber besser zu erkennen, und im Vorfeld 
	gegenzusteuern. Ich erarbeitete mit der Therapeutin eine Liste von 
	Gegenmaßnahmen. 
	  
	Ich 
	kann so etwas als zweite oder dritte oder vierte Säule zur medikamentösen 
	Behandlung nur empfehlen. 
	
	Derzeit nehme ich Valproinsäure, ein Stimmungs-Stabilisierer und Remergil, 
	ein Anti-Depressivum. 
	  
	Ich 
	fange zurzeit wieder Vieles an und schaffe nicht, es zu beenden. Ich bin 
	total zerstreut. Irgend etwas in mir drin drückt mein inneres Gaspedal bis 
	fast zum Anschlag durch und ich muss das rasante Tempo mithalten. Die 
	Stimmung dabei ist nicht gut, wobei das Valproat wohl die tiefen Ausschläge 
	nach unten abfedert. Ist dies eine gemischte Phase oder ein 
	rapid-cycling-Zustand? Ich weiß es nicht genau. Noch nicht. 
	  
	Oder 
	sind das bleibende Dinge, so wie die Konzentrations-Schwäche und 
	Ablenkbarkeit und das ewige "Nicht-zu-Ende-bringen"? Residual-Symptome? Was 
	soll werden? Wie soll ich das alles schaffen?   
	 
	 
	
	Gute Freunde ...  
	 
	  
	... 
	halte ich für das Allerwichtigste, gewissermaßen die wichtigste der Säulen, 
	die einen stützen. Ich habe drei befreundete Familien, die ich schon lange 
	kenne, unter anderem die meines ehemaligen Kollegen, der immer zu mir 
	gehalten hat am Arbeitsplatz und ich zu ihm, auch wenn unser Chef uns 
	auseinander dividieren wollte nach dem Motto: Zerteile und herrsche! 
	  
	
	Dieser Kollege ist in meiner schweren Depression mit mir durch den Wald 
	gegangen, in meinem Schneckentempo, und hat dabei immer wieder mein 
	Katastrophierungs-Gedankenkreisen anhören müssen, dass ich meine Arbeit nie 
	mehr ausüben könne. 
	
	Diese drei Familien behandeln mich immer noch so wie vor dem Wissen um meine 
	Krankheit. 
	Mehr 
	noch: Bei einer Familie tauchte ich sogar mal am Heiligabend auf, weil ich 
	Riesenstreit hatte. Meine Frau hatte eines meiner Geschenke für meinen Sohn, 
	obwohl miteinander ausgemacht, vor meinem Sohn schlecht gemacht. Ich konnte 
	bei der befreundeten Familie zu diesem familien-intimen Zeitpunkt bleiben 
	und übernachten. Ich war zuvor in Rage und in Aufgewühltheit losgefahren, 
	was schon drei oder vier Mal zu suizidalem Verhalten geführt hatte. 
	  
	Dann 
	schaue ich, dass ich viele sonstige Sozial-Kontakte habe. 
	Auch 
	andere Freunde und Freundinnen sind wichtig. Nur - in Zeiten der Depression 
	macht man sich nicht auf und pflegt die Freundschaften nicht. Dazuhin spielt 
	sicher auch die bipolare Schwankung eine Rolle, die viele verunsichert. 
	 
	  
	
	Nochmal Thema Nummer 1 
	 
	  
	Das 
	Outing hat bei Partnerinnen langfristig Nachteile gehabt. Während der Manie, 
	Hypomanie, des Normalzustandes, und auch der Depression, sofern sie nicht 
	sehr tief war: waren die Symptome der Krankheit kein Problem bei der 
	aktuellen Partnerin. Aber das Wissen um solche Dinge wie Suizid-Versuche, 
	drei Psychiatrie-Aufenthalte (zwei davon freiwilliges Hingehen, einmal von 
	der Polizei auf der Autobahnbrücke aufgegriffen) und MD ist offen sichtlich 
	abtörnend, bzw. man kommt als ernst zu nehmender langfristiger Partner nicht 
	mehr in Betracht. Ich bin so wahrheitsliebend - oder wenig kontrolliert? - 
	dass ich das alles meist sage, manchmal in einer Art Trotz wie etwa: Wenn 
	die Beziehung das nicht verträgt, dann eben nicht! Dazu kommen die 
	Nebenwirkungen der Drops wie Fettwerden und -bleiben, Schlaf-Apnoe, 
	Haarausfall, Erektions-und Ejakulations-Störungen, die einen selber nicht 
	gerade antörnen und auch nicht gerade attraktiv wirken ... 
	  
	Und 
	dann die hohe Empfindlichkeit bei vermeintlicher oder tatsächlicher 
	Zurücksetzung! Sofort drängen sich Gedanken auf wie „Vergiss es! Vergiss die 
	neue Beziehung! Sie will dich eigentlich gar nicht!“... Oder ist das wieder 
	eine Depression, die meine Sichtweise und Einschätzung verzerrt, und gar 
	nicht die Realität? Gleich mal die Checkliste durchgehen, die ich von der 
	Verhaltens-Therapie noch habe ... 
	 
	 
	
	Erfahrungs-Bericht: von einem 
	Freund (Mitte 40) 
	  
	Animierte Gifs: von 
	einem Freund, nach der Vorlage der Kopfzeile dieser Website 
	Aquarell 1 und Gedicht 
	1:  
	Aquarell 2 und Gedicht 
	2: , Erlaubnis für diesen Zusammenhang in www.change-of-moods.de und 
	www.dgbs.de liegt vor 
	Für 
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