Münchner Psychiatrie-Erfahrene (MüPE) e.V.
Mit freundlicher Genehmigung von Hr. A.
Deisenhofer
http://www.muepe.org/Veroeffentlichungen/TEXTAL_1/textal_1.HTM von der
Website der Münchener Psychiatrie- Erfahrene
1) Bei welchen Diagnosen wird
EKT angewandt?
Die Elektrokrampftherapie (EKT) wird offiziell
nur noch bei schweren Depressionen eingesetzt, die auf Medikamente nicht
ansprechen. Außerdem gilt sie als „lebensrettend“ bei katatonen Zuständen,
in denen der Patient auf seine Umwelt nicht mehr reagiert.. Bis etwa 1970
war EKT die unspezifische Standardbehandlung für alle so genannten
„Geisteskrankheiten“ oder das , was man darunter verstand oder dafür hielt.
Ich gehe davon aus, dass es auch heute daneben noch eine hohe Dunkelziffer
von EKT- Anwendung bei anderen Diagnosen gibt, da die Behandlung sehr
einfach und diskret durchzuführen ist und im Gegensatz zur
Medikamentenbehandlung außer dem Arzthonorar und dem einmaligen
Anschaffungspreis für das Gerät nur minimale Stromkosten verursacht. So wird
in den USA. niedergelassenen Psychiatern zur Verbesserung ihrer
wirtschaftlichen Situation auch. geraten, sich ein EKT-Gerät anzuschaffen
und einen einwöchiges Trainingskurs zu machen.
„..learn (….) specialized treatments, such as electroconvulsive therapy (ECT).
Onepsychiatrist whose practice was self-described as "strictly inpatient"
took a week-long practicum in ECT and has since developed an inpatient and
outpatient ECT service” (beiliegender Auszug aus der Psychiatric Times S.3).
Die Versuchung, EKT zur Lösung aller möglichen
Probleme anzuwenden, scheint für Psychiater sehr groß zu sein zum Schaden
vieler Patienten, die oft glauben , dass der Stromstoß ins Gehirn keine
Schäden verursache, bis sie durch schmerzliche Erfahrung eines besseren
belehrt sind.
Ich selbst wurde jahrzehntelang im Unklaren
darüber gelassen, ob und wie viele Elektroschocks ich während meines
Zwangsaufenthaltes in Haar bekommen hatte und wegen welcher Diagnose. Ich
musste also meine noch 1986 testpsychologisch festgestellten
Ausfallserscheinungen dem Fortschreiten einer Krankheit zurechnen, die ich
nicht gehabt hatte. Erst 1990 habe ich durch ein Gerichtsgutachten (in dem
es um meine Behinderung ging, nicht um eine Klage), welches aus
meinen Originalkrankenpapieren wörtlich zitierte, eher beiläufig zur
Kenntnis nehmen können, dass ich zusätzlich zu den 19 Insulinschocks auch
diskret 12 Elektroschocks erhalten hatte, was meine schweren
Ausfallserscheinungen nach meinem ersten Aufenthalt in Haar für mich
nachträglich erklärte. In einem Gerichtsgutachten von 1986 war aber noch
sachwidrig behauptet worden, in meinen Haarer Krankenpapieren wäre gar keine
EKT dokumentiert, aus den dortigen Unterlagen ginge nicht hervor, dass ich
EKT erhalten habe. Als Nichtprofi glaubt man immer dem Fachmann und seinem
Gutachten, auch wenn die Aussage falsch ist. Ich persönlich bin sicher, dass
ich bei meinem Erstaufenthalt in der Klinik 1953 in Haar als 18jährger
durch unnötig und willkürlich gegebene Schocktherapie so geprägt und
geschädigt wurde, dass sich von da an mein ganzes Leben und meine
Persönlichkeit zum Negativen hin veränderte. Meine nachfolgende
Psychiatriekarriere wäre ohne diese Schockbehandlung nicht eingetreten. Aus
psychiatrischer Sicht wurde meine Geisteskrankheit damals zum ersten Mal
erkannt und hat sich „trotz“, nicht wegen der Heilkrämpfe (die man dem
Patienten “ natürlich aus „therapeutischen Gründen“ gegeben und verschwiegen
hatte) dann weiterentwickelt. Aus meiner Sicht sieht das anders aus.
Ich gehe auch davon aus, dass viele stationäre
Langzeitpatienten, die heute versorgt werden müssen, noch Opfer der damals
extensiv geübten Schocktherapie sind, ohne es zu wissen. Meine eklatanten
sprachlichen Defizite (Aphasie) nach EKT haben sich im Laufe der Jahr-zehnte
unter günstigen Bedingungen nach und nach zurückgebildet, die visuellen
Defizite sind aber heute noch offenkundig, obwohl nicht mehr ganz so
schwerwiegend wie unmittelbar nach der Behandlung. Dass EKT damals für mich
das soziale Aus bedeutete, lässt sich auch an meinem Schülerbogen ablesen,
den ich beilege.
Ich kenne verschiedene Psychiatrieerfahrene, die
auch glaubhaft behaupten, EKT erhalten zu haben, die es aber nicht belegen
können, weil man es ihnen verheimlicht hat. Es ist sehr schwierig, dann
eine Gehirnschädigung durch EKT zu behaupten, wenn EKT nicht dokumentiert
ist. Unter vielen Leidensgenossen bin ich fast ein Ausnahmefall, dass ich
heute nach 40 Jahren definitiv weiß, was damals an mir und vielen anderen
verübt wurde. Eine mir bekannte Psychiatrieerfahrene hat in den 80er
Jahren nach einem Klinikaufenthalt in der Uniklinik Bonn durch ihren
Hausarzt nachträglich erfahren, dass die „Heilschlafbehandlungen“ eigentlich
Elektrokrampfbehandlungen mit vorheriger Betäubung waren.
Ich lege einige Seiten aus Lehrbüchern vor, in
denen das „amnestische Syndrom“ als nicht schockverursacht, sondern
konstitutionsbedingt hingestellt wird. Das ist typisch für die Denkweise der
Schockärzte, dass sie die Folgen einer iatrogenen Hirnschädigung entweder
nicht zur Kenntnis nehmen oder einfach auf die morbide Konstitution des
Klienten abwälzen. Als ich Patient in Haar war, wurden noch häufig (eben
auch an mir) Elektrokrämpfe in der Bewusstlosigkeit eines vorher erzeugten
Insulinkomas verabreicht. Man nannte das „Kombinationsschock“ und sprach
dem doppelten Schock doppelte „Heilkraft“ zu, nach dem Motto“ je mehr desto
besser“. Nur die ganz alten Psychiater wissen heute noch, was sich unter dem
neutralen Namen „Kombinationsschock“ verbirgt. Ich musste lange herumfragen,
bis mir das einer erklären konnte, der es selber noch gemacht hatte. Als
ich Professor Sollmann anlässlich des internationalen EKT -Workshops in
München 1992 wegen meiner noch 1986 festgestellten Gedächtnisdefizite
ansprach, meinte er freundlich, diese müssten vom Insulinkoma herrühren, da
Elektroschock absolut sicher sei. Die meisten EKT- Patienten, die ich in
Deutschland persönlich kenne, reden nicht gerne über ihre leidvolle
Erfahrung mit Elektroschock und seinen Folgen. In Amerika gibt es eine
Webside für Patienten zum Thema. Die meisten berichten über sehr negative
Folgen . Nur eine Hausfrau nimmt es mit Galgenhumor und schreibt, dass sie
seit ihrer EKT in ihren Schubladen immer etwas Neues findet, weil sie
vergessen hat, was darin war, und dass ihre Kinder es schätzten, dass sie
immer zweimal Taschengeld von ihr bekämen wegen ihrer Vergesslichkeit..
Schon in alten Lehrbüchern wird am Rande eingeräumt , dass Leute bei
geistiger Tätigkeit nach EKT Schwierigkeiten haben. Die englische Lyrikerin
Sylvia Plath hatte in einem lesenswerten Buch (the jar bell) darüber
geschrieben. Sie hat sich bald darauf suizidiert, so wie auch Earnest
Hemingway, der sich besonders negativ und verzweifelt über die Folgen seiner
EKT ausgesprochen hat. Die begabte Schweizer Schriftstellerin Annemarie
Schwarzenbach bekam, weil sie lesbisch und zudem drogensüchtig war, in den
40er Jahren in den USA Krampftherapie, war dann eine gebrochene
Persönlichkeit und starb bald darauf bei einem Fahrradunfall in der Schweiz,
der auch suizidalen Charakter hatte. Man kann sagen, dass EKT zunächst
gelegentlich eine Euphorie schaffen kann, wenn man durch den Angriff auf das
Gehirn seine Probleme vergisst. Nachher kommen die Probleme meist mit
doppelter Macht zurück, weil man auch noch, je nach Anzahl der Schocks, eine
mehr oder weniger starke Gehirnschädigung zu verkraften hat. Ich lege einige
Berichte von Betroffenen bei. Solche Berichte finden im Allgemeinen wenig
Gehör und bewirken wenig, weil man Psychiatrieerfahrene zu Unrecht die
Fähigkeit abspricht, zu erkennen, was für sie gut oder schädlich war.
Ich selber habe noch keinen Patienten getroffen,
der sich über seine EKT- Behandlung positiv ausgesprochen hat. Ich kenne
aber viele, die sagen, sie möchten sich so behandeln lassen, da EKT auch in
Zeitschriften als Wundertherapie für Finsternisse der Seele
angepriesen wird. Ich rate jedem Depressiven , dem die Ärzte eine EKT
anraten, auf keinen Fall in eine solche Therapie einzuwilligen. Der Preis,
den der Patient für eine eventuelle schnelle und vorübergehende
Stimmungsaufhellung zahlt, ist sehr hoch.. Der bekannte Gehirnchirurg Detlev
Linke, hat Wirkungsweise von EKT in einem mir vorliegenden Interview so
beschrieben: “Wenn man eine defekte Uhr in die Ecke wirft, dann funktioniert
sie manchmal und manchmal nicht.
Bei depressiv Suizidgefährdeten und Katatonen
rechtfertigt man EKT heute damit, dass ohne EKT der schwer Depressive sich
suizidieren und der Katatone sterben würde, dass also EKT in beiden Fällen
lebensrettend und das kleinere Übel sei, so dass selbst schwerwiegende
Nebenwirkungen „Peanuts“ sind. Früher hat man in Haar mit ähnlichen
Argumenten auch die Leukotomie gerechtfertigt und EKT eine kleine Leukotomie
genannt. Ich lege einen Ausschnitt aus der Haarer Festschrift von 1955 bei,
in dem die Wirkung von EKT mit der noch besseren „Heilwirkung“ der
Leukotomie verglichen wird und beide„Therapien“ der bis 1945 in Haar auch
praktizierten Euthanasie (Heilung durch Patientenmord) gegenübergestellt
werden. Vor dem Hintergrund der Haarer Euthanasie heben sich dann nach der
Meinung der Autoren EKT und Leukotomie noch sehr positiv ab, und man
beklagt in der Festschrift die nach 1945 einsetzende „Humanitätsduselei“,
die den Patienten die so segensreiche Leukotomie vorenthalten und den Ärzten
ihre mutige Arbeit verleiden möchte. Man ging damals wenig rücksichtsvoll
mit Patienten um und kümmerte sich nicht um ihre Empfindungen oder gar um
Einwilligung.
Compliance für EKT ist in moderner Zeit immer
am leichtesten von einem Depressiven zu erhalten, weil von ihm am wenigsten
Widerstand ausgeht. Aus dieser praktischen Erwägung heraus wird heute die
Depression (wie eingangs erwähnt) als eigentliche Indikation genannt. Die so
genannte Positivsymptomatik einer produktiven Erstpsychose wird in der
Regel nicht mehr (wie früher) mit Schocks behandelt, sondern durch
Hochdosierte sedierende Neuroleptika gedämpft. Wenn unter der Wirkung der
Medikamente eine so genannte „Negativsymptomatik“ auftritt, der Patient
teilnahmslos oder gar kataton wird, kann dieser Zustand als depressiv
eingestuft werden und nach der jetzigen Mode auch mit EKT angegangen
werden. Psychiatrieerfahrene fürchten, dass sie ohne ihr Wissen in einer
geschlossenen Klinik Elektroschock bekommen haben oder wieder bekommen
können, eine Befürchtung, die ich aus den Erfahrungen meiner
eigenen Krankengeschichte und angesichts der immer noch undurchsichtigen
Strukturen der Großkrankenhäuser und ihrer mangelnden Informationspflicht
und schlechten Dokumentation nachvollziehen kann. Diese Angst ist umso
verständlicher, als nach meiner Information auch in Haar kürzlich das neue
Schockgerät Thymatron angeschafft wurde, nachdem man 20 Jahre lang in Haar
offiziell nicht mehr geschockt hatte. Patienten wurden dazu in eine
Uniklinik gebracht. In den beigelegten Seiten aus dem Buch „Irre“ von
Rainald Götz ist so ein Fall dargestellt. Die heute wieder aufkommende
Angst, in Großkliniken wieder geschockt zu werden, wird umso eher
schwinden, je mehr sich eine gemeindenahe Versorgung der Psychisch Kranken
(für die MüPE auch kämpft) durchsetzt und Qualitätskontrolle und Transparenz
zur Regel werden.
Die so genannte biologische Psychiatrie hat
eigentlich nur drei Möglichkeiten zur Bekämpfung der so genannten Psychosen,
die man früher Geisteskrankheiten nannte,
a)
die chemische Einwirkung durch dämpfende Psychopharmaka,
b)
die undifferenzierte physikalische Elektroschockmethode (die
auch als Foltermethode verwendet wurde, aber bei vorheriger Betäubung
schmerzfrei ist, auch wenn nachher Kopfschmerzen, Schwindelgefühle und
Ausfälle entstehen) und
c)
die früher auch in Haar häufig durchgeführte Leukotomie. Das
war die chirurgische Abtrennung des Stirnhirns. Leukotomie, für deren
Einführung der portugiesische Psychiater Moniz den Nobelpreis erhalten
hatte, wird heute nicht mehr angewendet und (etwa zur Schmerzbekämpfung)
durch modernere sterotaktische Eingriffe ersetzt.
Da man bis heute nicht weiß, wie
Elektrokrampftherapie wirkt, kann man es bei jeder psychiatrischen Diagnose
einsetzen. Aus der Literatur, die ich verfolge, lässt sich entnehmen, dass
EKT zunehmend jetzt für alte Patienten als nützlich und unschädlich
dargestellt wird. Während Psychiatrieerfahrene sich zu Selbsthilfegruppen
zusammenschließen, langsam lernen, sich zu artikulieren, hat diese neue
Zielgruppe der ganz alten Opas und Omas keine Lobby, vor allem, wenn sie
auch noch depressiv sind. Gehirnschäden durch Schock können dann leicht der
Altersdemenz zugerechnet werden. Die Gerontopsychiatrie scheint ein neues,
auch gewinnträchtiges Einsatzgebiet für EKT zu werden.
Sogar für schwangere Frauen wird der Einsatz der
neuen EKT als Alternative zu eventuell fötusschädigenden Medikamenten
ernstlich in Erwägung gezogen.
Bei der Ungenauigkeit der psychiatrischen
Diagnosen und bei ihrer Undifferenziertheit besteht immer auch die Gefahr,
dass wirtschaftliche Überlegungen auf Seiten des Arztes eine Rolle
spielen. Menschen mit hohem Leidensdruck geben oft nach und unterschreiben
und glauben gern etwas, was ihnen als einfache Rettung vorgespiegelt wird
und sich dann als Chimäre erweist, Probleme nicht löst, sondern zusätzliche
schafft..
2. Welche reversiblen oder
irreversiblen Nebenwirkungen hat EKT?
EKT wurde früher bei Bewusstsein und ohne
Betäubung und sehr häufig gegeben, in Haar auch routinemäßig zur
Vorbereitung der Patienten aufs Wochenende, wenn Besuchszeit war und die
Personaldecke dünner war. Ältere Pfleger wussten noch, dass man den Freitag
damals im Jagon „Waschtag“ nannte, weil da jeder prophylaktisch eine
Behandlung im Sinne einer vom Personal positiv gesehenen „Gehirnwäsche“
bekam.
a) Um die
„Nebenwirkungen“ kümmerte man sich damals nicht. Die Ärzte wussten, dass
der Elektroschock, wie man EKT damals nannte, ohne Betäubung für den
Patienten eine sehr traumatische Erfahrung war und große Angst davor
herrschte. Die Befürworter von EKT ohne Betäubung argumentierten aber, dass
beim Aufwachen nach dem „Schock“ infolge der Schädigung des
Kurzzeitgedächtnisses dem Patienten dieses Erlebnis nicht mehr in Erinnerung
sei. An anderer Stelle leugnet man aber jede Gedächtnisschädigung durch
Schock und schreibt sie der von Anfang an morbiden Konstitution des
Patienten zu. Von Militärpsychiatern des 2. Weltkrieges wurde auch
argumentiert, dass das Foltererlebnis bei EKT ohne Betäubung einen
erzieherischen Wert für den Soldaten mit einer Kriegspsychose habe und
deshalb erwünscht sei, „weil das vor dem Krampf auftretende
Vernichtungsgefühl alarmierend wirkt und nicht in der nachfolgenden
Amnesie... unterzugehen pflegt“.
Während einer Serie von Schocks nimmt der
Patient in dem „geschützten“ Raum einer Klinik und wegen seiner
Benommenheit und einer gewissen vorübergehenden „Euphorisierung“ und
Verflachung seinen Leistungsabfall auch nicht sofort wahr, sondern erst,
wenn er nach einer Schonzeit draußen wieder mit Anforderungen in Familie
und Beruf konfrontiert ist. Dann ist die Sache aber schon gelaufen und nicht
mehr zu ändern. Ich fühlte mich nach meiner Schocktherapie vernichtet und
als Persönlichkeit reduziert, meiner Erinnerungen ohne Grund beraubt und
konnte meine vorher sehr guten Leistungen im Gymnasium in keiner Weise mehr
halten oder wiederaufnehmen.
Dagegen gibt es eine amerikanische Studie von
1993, die behauptet, dass Patienten selbst nach 100 EKT keine kognitiven
Schäden gegenüber anderen Patienten aufweisen. Ein Psychiater kann von
seinem „Krankengut“ in so einer Studie alles behaupten, je nachdem, welchen
Maßstab er ansetzt. Auch von der Leukotomie wurde behauptet, sie sei
unschädlich für psychisch Kranke. Die eigentlichen Schäden empfindet der so
geschädigte und stigmatisierte Kranke nur selbst, und dem glaubt man sie
nicht, rechnet sie seiner psychischen Krankheit zu. So hatte auch nach
Presseberichten ein Mann, der in den 80er Jahren die Dürergemälde in der
Münchener Pinakothek mit Säure zerstörte, offensichtlich noch genug
kognitive Fähigkeiten, um das zu planen, obwohl er eine Leukotomie hinter
sich hatte. Dass ein normal intelligenter Mensch nach eines solchen
Behandlung noch einen Racheakt planen kann, ist aber kein Beweis, dass er
keinen Gehirnschaden hat. Einen lange hospitalisierten psychisch Kranken
misst man nicht mehr nach normalen Standards, steht doch in den Lehrbüchern,
dass die Krankheit selbst zur Imbezilität führen kann. Immerhin beweisen
die EKT- Studie sowie der leukotomierte Bilderzerstörer, dass man beide
Behandlungsarten irgendwie überstehen kann, wenn auch auf erniedrigtem
seelischen und geistigem Niveau. Das genügt uns aber nicht als Erfolg
unserer Therapien. Es gibt eine Gruppe von ehemaligen Schockpatienten, die
sich als „surviver“ bezeichnen.
Psychiater berufen sich darauf, dass EKT
statistisch von allen Operationen, die in Narkose durchgeführt werden, die
niedrigste Todesrate habe. Dieser Statistik messe ich keinen großen Wert zu,
da ich unter anderem davon ausgehe, dass EKT, die früher in Großkliniken
auch als Disziplinierungsmaßnahme verwendet wurde und mancherorts wohl noch
wird, nur sehr unvollständig und vage dokumentiert wird. Da die Anwender EKT
seit 70 Jahren hartnäckig für völlig harmlos halten, aber auch wissen, dass
EKT wegen ihrer „Nebenwirkungen“ in schlechtem Ruf steht, tun sie ihre
Arbeit meist im Stillen. In einer geschlossenen Klinik konnte und kann man
nichtnur EKT verheimlichen , sondern auch Todesursachen kaschieren. Ausfallserscheinungen
durch EKT sind schwer zu belegen, weil sie, wenn sie belegt sind; als
normale Krankheitssymptome oder (seit EKT nur noch in Narkose gegeben wird)
ausschließlich als Narkoseunfälle hingestellt werden, soweit man sie
überhaupt zur Kenntnis nehmen muss. Ein Narkoseunfall bei EKT ist aber
deshalb sehr unwahrscheinlich, weil zur Verhinderung einer Abwehrreaktion
des Patienten und um die letzte Compliance der Bewusstlosigkeit zu
erreichen, nur eine Kurzbetäubung von wenigen Sekunden nötig ist, innerhalb
welcher Zeit der Patient durch Stromeinwirkung auf das Gehirn unter Krämpfen
ohnehin bewusstlos wird. Die EKT-Psychiater berufen sich aber trotzdem auf
den Narkosezwischenfall, weil Unschädlichkeit von EKT für sie auch ein
abstraktes und geschütztes Dogma ist, das durch kein Argument zu erschüttern
ist und das sie mit all ihrer Autorität verteidigen.
b) Während
die geistigen und seelischen Nebenwirkungen einer Behandlung, so schwer sie
für Betroffene auch sein mögen, angesichts des antzipierten schweren
Verlaufs jeder diagnostizierten geistigen oder seelischen Erkrankung für
Fachleute kein Problem und keine Kontraindikation darstellen, waren
körperliche und orthopädisch feststellbare Folgen von Anfang an nachweisbar
und einklagbar. Bei der Heilkrampfbehandlung kam es zu Knochenbrücken und
Wirbelfrakturen, die zwar in der Regel nicht beachtet wurden, die aber in
besonders krassen Fällen schon in den 50er Jahren zu mutigen Reklamationen
von Angehörigen führten.
Um solche offensichtlichen und nicht
wegzuleugnenden Nebenwirkungen zu vermeiden, experimentierte man schon
damals mit dem Nervengift Curare, das vor dem Schock in nicht tödlicher
Dosis appliziert wurde, die Muskulatur des Patienten lähmte und die
körperlichen Krämpfe milderte. Heute ist die Anwendung relaxierender Mittel
vor EKT die Regel, dämpft die sonst überaus heftigen Konvulsionen,
verhindert Knochenbrüche und muss somit als Beweis für Fortschrittlichkeit,
Unschädlichkeit und Humanität der neuen und modernen EKT herhalten.
An den geistigen und seelischen Schäden von EKT
hat sich nichts geändert. Vielleicht geht man heute vorsichtiger und etwas
maßvoller mit dieser barbarischen Behandlungsmethode um. Betäubung und
Muskelentspannende Mittel zur Vermeidung von Wirbelbrüchen sind aber keine
moderne Erfindung (siehe beigelegter Aufsatz von Prof. Kalinowsky, Juni
1951). Ob man heute noch das Pfeilgift Curare, das dem Schierling verwandt
ist, nimmt, weiß ich nicht.
Wie lange die geistigen und (im Sinne einer
Verflachung oder vorübergehenden Euphorisie-rung) seelischen Nebenwirkungen
einer Gehirnschädigung durch EKT anhalten, hängt (wie bei jedem
Gehirntrauma) von dem Grad der Schädigung, d.h. von der Stärke der Schocks,
ihrer Anzahl, ihrer Dichte und von den Rehabilitationsmaßnahmen ab, die der
Patient nachher erfährt. Auch ein schweres Schädel-Hirn-Trauma ist nicht
ganz irreversibel, und die Folgen eines schweren Schlaganfalls können im
Lauf der Zeit mehr oder weniger kompensiert werden. Die alte
Leistungsfähigkeit wird nach einer Schocktherapie in der Regel nicht mehr
erreicht. Das quälende Gefühl der Leistungseinschränkung nach Schocks kann
aber eine Zeitlang überlagert werden von einer gewissen Euphorie und
Gleichgültigkeit Problemen gegenüber, so dass der Patient sich auch
subjektiv besser fühlt. Falls ein Patient sich über seine
Ausfallserscheinungen beklagt, kann man ihm das leicht als noch übrig
gebliebenes Depressionssyndrom diagnostizieren und eine weitere EKT-
Behandlung empfehlen. Da er das nicht mehr will, wird er schon aus eigenem
Selbsterhaltungstrieb aufhören, über seine Ausfälle zu klagen.
Für mich persönlich war die erste Schocktherapie
die Initiation in meine Existenz als Psychisch Kranker und Behinderter, die
mir gar nicht in die Wiege gelegt war, die ich aber annehmen musste und
schließlich notgedrungen auch akzeptierte. Ich habe Hinweise darauf, dass es
bei vielen anderen Patienten nicht anders war. Übereinstimmend berichten
EKT- Patienten, dass sie vor allem im visuellen Bereich Ausfälle haben.
Das entspricht meiner eigenen Erfahrung. Meine sehr guten Schulleistungen
sanken nach der EKT- Behandlung rapid. Ich bot erst von da ab das Bild eines
psychisch Kranken, was auch bei einem weiteren Klinikaufenthalt sich
verstetigte. Meine Lehrer bescheinigten mir dann auch im Schülerbogen in
einem Eintrag ein Jahr nach der Schockbehandlung: “Ein Fall der nur noch die
Medizin, nicht mehr die Schule angeht.“ Ich habe ein noch 1986
testpsychologisch auffallendes Defizit in der visuellen Wahrnehmung, das
nach Meinung des Gutachters „eine organische Ursache haben könnte“, das
eben typisch für EKT-Patienten ist. Darüber gibt es auch wissenschaftliche
Erklärungen, weil der Schläfenlappen, an dem die Elektroden bei EKT
angesetzt werden, zwar auch für andere Persönlichkeitsbereiche, aber
besonders für visuelle Erkennungsprozesse wichtig ist. (Ich lege dazu den
Aufsatz “Psychopathology of Lobe Syndroms“ bei). Kein Schockanwender
würde die Idee zulassen, ein so spezifisches und auffallendes Defizit
könnte eine irreversible Spätfolge der Schocktherapie sein. Eine solche
Annahme in Betracht zu ziehen, eine solche Untersuchung überhaupt
anzustellen, wäre eine Verletzung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des
Psychiaters und seiner seit 70 Jahren erfolgreich erprobten Waffe gegen
die Geisteskrankheit, die EKT heißt. Dieses Dogma wird meiner Ansicht nach
umso hartnäckiger verteidigt, je unsicherer und fragwürdiger Diagnosen und
Therapieansätze werden. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass die
Psychiatrie nicht in dem Sinn eine exakte Disziplin der Medizin ist wie etwa
die Kardiologie oder die Orthopädie. Es gibt bis heute keine biologischen
Erkennungsmerkmale für psychische Krankheiten. Die Grundlage einer Diagnose
ist immer das Verhalten oder die verbale Aussage eines Patienten und die
Subjektivität des Diagnostizierenden. Die ordnungspolitische Aufgabe der
Psychiatrie ist heute noch, Menschen, die durch ungewöhnliche Aussagen oder
Handlungen Normen verletzen könnten, in einen so beruhigten, reduzierten,
notfalls auch imbezilen Zustand zu versetzen, in dem sie das nicht mehr tun
können.
Ob alle Langzeitpatienten Menschen mit
ursprünglichen Gehirnkrankheiten waren, wissen wir nicht. Nach EKT haben sie
aber ein feststellbares Syndrom. In diesem Sinne hat Professor Dörner einmal
gesagt, EKT verwandle psychiatrische Patienten in neurologische.
Das Ziel, und auch die gesellschaftliche Auftrag
der Psychiater ist, diese Menschen (die aus unterschiedlichsten Gründen
auffällig sind oder erscheinen) zu markieren, manchmal mit einem Stigma,
einem Syndrom, und sie so zu verändern, dass soziale Konflikte innerhalb
vilien oder Gruppen vermieden werden. Dabei steht dem Psychiater ein weites
Spektrum von Diagnosen und Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die er sehr
subjektiv einsetzen kann, da es zwar anerkannte Lehrmeinungen, aber kein
objektiven Kriterien gibt. Wenn bei der Therapie Gehirnschäden oder
organisch bedingte Intelligenzminderungen auftreten, spielt das dabei
eigentlich keine Rolle gegenüber der großen Aufgabe, den sozialen Frieden
wiederherzustellen, und kann auch schlichtweg vernachlässigt und geleugnet
werden.
Die Geschichte der Psychiatrie ist voll von
Foltermethoden, die euphemistisch als Therapie ausgegeben wurden. Der alte
Elektroschock war eine Foltermethode speziell für das Gehirn mit üblen
Folgen für den Patienten. EKT und wird heute, soweit mir bekannt ist, nur
noch in Narkose durchgeführt, so dass dem Patienten die Angst vor dem
Schmerz erspart bleibt, nicht aber die Schädigung.
Die EKT-Folter in Narkose erinnert mich in
makabrer Weise an die Hinrichtungsmethoden der alten Chinesen, die dem
Delinquenten große Mengen Opium einflößten, bevor man ihn Glied für Glied
amputierte. Eine fortschreitende Amputation geistiger und seelischer
Fähigkeiten stellt die Erzeugung künstlicher Epilepsien durch Strom auch
dar. Ein Elektroschock unterscheidet sich nur im Ausmaß der Schädigung von
einer Leukotomie, die früher auch mit moralischen Argumenten verteidigt
wurde und eine schwere Gehirnamputation darstellt. In der Haarer Festschrift
von 1955 (Autor: Oberarzt Dr. Vult Ziehen) kann man noch lesen, dass man
durch öftere Anwendung von EKT die Wirkung einer Leukotomie erreicht. Beides
sei für den Patienten unschädlich.
EKT geht mit Hirnschädigungen und
Leistungsausfällen einher, die mit der Zahl der Behandlungen zunehmen.
Aussagen von Betroffenen und Untersuchungen darüber werden aber von den
Anwendern ignoriert und geleugnet.
3. Wie wird die
Elektrokrampftherapie durchgeführt?
Wie heute eine EKT Therapie genau durchgeführt
wird, kenne ich nicht aus persönlicher Anschauung, nur aus Bildern und
Berichten, da die Ärzte uns und auch der Öffentlichkeit keinen Einblick in
solch eine Sitzung gewähren. Manche Anwender äußern sich so „begeistert“
über ihre Therapieform, dass man annehmen muss, dass ihnen die Macht, die
sie mit dem Stromkabel über den Patienten ausüben, Freude und Befriedigung
gibt, nicht aber dem Patienten. Wie meine EKT damals verlaufen ist, kann ich
auch nicht sagen, da ich ja vorher (mit Insulin und anderen Mitteln) betäubt
wurde, was heute die Regel ist. Ich konnte nicht einmal mit Bestimmtheit
belegen, dass ich eine solche Behandlung bekommen hatte. Ich lege aber den
Teil meiner Krankengeschichte bei, den ich seit 1993 besitze und in dem
meine EKT (wenn auch verschlüsselt) dokumentiert ist.
Für Psychiatrieerfahrene sind EKT und deren
Folgen so traumatisch und demütigend, dass sie nicht gerne darüber reden.
Für die Münchner Verhältnisse ist das Buch“
Irre“ von Rainald Götz (einige Seiten liegen bei) vielleicht
aufschlussreich, der selber als junger Psychiater Anfang der 80er Jahre in
der Münchner Universitätsklinik gearbeitet hat und dort auch beschreibt, wie
EKT- Behandlungen durchgeführt wurden. Generell lässt sich sagen, dass
dabei zwei Elektroden an den Schläfen des Patienten befestigt werden und ein
starker Strom hindurchgeschickt wird, wodurch der Patient einen
epileptischen Anfall erleidet. Die „geniale“ Idee, elektrischen Strom
therapeutisch zur Erzeugung epileptischer Anfälle (Heilkrämpfe) zu benutzen,
war dem italienischen Psychiater Cerletti bei einem Besuch im Mailänder
Schlachthof gekommen, wo ihn beeindruckte, dass Schweine, die vor dem
Schlachten mit elektrischem Strom betäubt wurden, daran nicht starben,
sondern nur in Krämpfe verfielen. Bei ersten Versuchen mit Hunden entdeckte
er, dass so ein Strom, wenn er nur durchs Gehirn und nicht übers Herz
geleitet wurde, nur Ohnmacht, nicht aber den Tod verursachte. Damit war EKT
als sicher für Patienten eingestuft und wurde in den 30er Jahren zur
gängigen Behandlung gegen „Verrücktheit“. Ich besitze auch ein Dokument,
demzufolge bei einem Ärztekongress in Wien 1944 ein Mensch vor der
versammelten Ärzteschaft zu wissenschaftlichen Zwecken durch wiederholte EKT
absichtlich getötet wurde.
Schon in den 50er Jahren gab es den Versuch, der
als großer Fortschritt gesehen wurde, die EKT nicht mehr bilateral, sondern
unilateral anzuwenden. In den 90er Jahren wurde diese „Fortschritt“ neu
entdeckt und als Bahnbrechende Neuheit propagiert. Dabei werden die beiden
Elektroden nur an einer Kopfseite angelegt und zwar beim Rechtshänder an der
rechten Kopfseite, die anatomisch mit der linken, nicht dominierenden Hand
verbunden ist, beim Linkshänder umgekehrt. Damit erreicht man, dass die
Schädigung vorwiegend auf der nicht dominierenden Hirnseite entsteht und
weniger störend für den Patienten sein soll. Ich habe aber auf dem EKT-
Workshop in München 1992 im Krankenhaus rechts der Isar erfahren, dass
diese unilaterale Anwendung nicht unbedingt vorzuziehen ist, weil sie zwar
schonender, aber auch weniger wirksam erscheint und daher öfter angewendet
werden muss, um dieselbe „Remission“ zu erreichen.
4. Wie wirkt sich die
Behandlung auf den Krankheitsverlauf aus?
Für mich bedeutete die EKT- Behandlung keine
Heilung, sondern den Einstieg in das Dasein des Behinderten und psychisch
Kranken. Ich habe, seit ich MüPE und dem Bundesverband Psychiatrieerfahrene
angehöre, einige Veranstaltungen besucht, unter anderem den oben erwähnten
internationalen EKT–Workshop im Klinikum rechts der Isar in seiner ganzen
Länge und habe an Professor Lauter einen ausführlichen Brief geschrieben,
den er nicht beantwortet hat. Aus diesen Kongressen und aus ausgedehnter
Lektüre weiß ich, dass EKT, wenn man Glück hat, von akuten Symptomen
befreien kann, aber keine Heilung bewirkt. Rückfälle sind vorprogrammiert,
und es gibt auch den Begriff „Erhaltungs- EKT“, d.h. Schocks im Abstand von
einigen Wochen oder Monaten. Die meisten EKT –Patienten sind auch nicht
geheilt in dem Sinn, dass sie dann keine Antidepressiva mehr bräuchten. Das
erfährt man aber nur durch gezieltes und hartnäckiges Fragen. In
Deutschland waren die Elektroschocks ziemlich zurückgedrängt, sind aber in
letzter Zeit wieder mehr in Mode gekommen, seit man die körperlichen
Nebenwirkungen der Neuroleptika (Spätdyskinesien) besser kennt und sie
nicht mehr einer genetisch angeborenen Morbidität des Patienten anlasten
kann. Die nach außen sichtbaren Nebenwirkungen von EKT (Knochenbrüche) sind
weit leichter zu beherrschen, als die nach außen sichtbaren Dyskinesien.
Die sogenannte „biologische Psychiatrie“ (so nennen sich die Psychiater, die
psychische Leiden als reine Gehirnkrankheiten sehen) und mit ihnen die
Pharmaindustrie arbeiten zwar an der Entwicklung von Neuroleptika, die nur
die geistigen Leistungen durch Lähmung der Dopaminrezeptoren behindern, die
für Körperbewegung zuständigen und chemisch anders gebauten Rezeptoren aber
nicht angreifen (Risperdal und Zyprexa), Man weiß aber noch nicht, welche
Langzeitwirkung diese Mittel haben.
Die Renaissance der alten EKT in Deutschland ist
auch ein Zeichen der Hilflosigkeit der biologischen Psychiatrie gegenüber
den nachweisbaren Begleiterscheinungen vieler Psychopharmaka und der
Versuch , eine „altgediente“ Behandlungsweise mit neuem Elan wieder neu zu
installieren, denn früher übliche Knochenbrüche oder Wirbelverletzungen
durch Schocks sind heute weitgehend vermeidbar, während Spätdyskinesien
auch bei neueren Medikamenten nicht ausgeschlossen werden können, da sie
sich erst über Jahre entwickeln.
Aus all dem ergibt sich, dass ich aus eigener
Erfahrung heraus EKT wegen ihrer beträchtlichen Kurz- und Langzeitschäden,
ihrer Wirkungslosigkeit und ihrer Geschichte als Folterinstrument
entschieden ablehne und auf die Entwicklung einer gemeindenahen
Psychiatrie ohne Schocks und mit möglicht wenig Medikamenten in
Krisenzeiten setze. Familientherapeutische und psychologische Ansätze
sollten im Vordergrund stehen. Damit weiß ich mich im Einklang mit der
großen Mehrheit unserer Mitglieder.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen ein
wenig gedient zu haben und auch der Sache. Ich habe Ihnen als Anlage
Aussagen von Psychiatrieerfahrene und Aussagen von Psychiatern (teils aus
alten und neuen Lehrbüchern und psychiatrischen Fachzeitschriften)
beigelegt. Ich hoffe, diese Anlagen sind nicht zu unübersichtlich. Ich habe
in den letzten Jahren nicht nur an EKT Kongressen teilgenommen, sondern auch
in der Fachliteratur gelesen und besitze noch mehr Unterlagen. Ich kann auch
gerne die genaue Herkunft der einzelnen beigelegten Texte nachweisen und
andere Texte beibringen, falls das nützlich ist.
Da ich aber nicht weiß, wie viel Zeit Sie für
die Untersuchung aufwenden können und ob es überhaupt Menschen gibt, die
sich mit dem komplizierten und unerquicklichen Thema tiefer
auseinandersetzen können und wollen, erspare ich mir die psychische
Belastung, die für mich als Betroffenen immer noch mit der Erinnerung an
meine eigene EKT verbunden ist, obwohl seitdem viel Zeit verflossen ist
und ich inzwischen gelernt habe, einiges mehr an Belastung und
Stigmatisierung zu ertragen. Erkennbar ist aus den Texten, dass Patienten,
soweit sie sich artikulieren, wegen der Ausfälle nach EKT sehr betrübt und
sozial verunsichert sind, das aber nicht mehr rückgängig machen können,
sondern versuchen müssen, damit fertig zu werden und zu leben. Gelingt ihnen
das trotz ihrer Schäden, dann gilt die Behandlung als erfolgreich, gelingt
es nicht dann gilt der Patient eben als hoffnungslos. Suizidiert er sich
nach EKT, dann war immer seine angeborene Depression schuld. EKT- Behandler,
die diese Ausfälle nicht selbst spüren, neigen dazu, sie zu bagatellisieren
oder, (was leicht möglich ist) sie der Krankheit oder der besonders
morbiden Konstitution der „Geisteskranken“ zuzurechnen.
Im ganzen scheint mir die Abschaffung der
atavistischen EKT so schwierig und wichtig zu sein wie die Stilllegung der
vorsintflutlichen Atomwärmekraftwerke. Die Elektroschocktechnik ist 70 Jahre
alt und wurde seitdem stetig, aber nur auf dem Papier verbessert. Noch immer
werden künstlich epileptische Anfälle erzeugt, die angeblich eine Form der
Verrücktheit heilen sollen. Auf dem EKT-Workshop von 1992 wurde gar
behauptet, EKT setze einen „Cocktail“ von heilenden Substanzen im Gehirn
frei. Auf die Frage, warum sich dann nicht jeder EKT machen lässt, wenn es
so gesund und unschädlich und erfrischend sei, folgte die Antwort, das
wirke eben nur bei psychisch Kranken. Es hat aber aus gutem Grund noch nie
ein Psychiater diese angeblich so heilsame Foltermethode an sich
ausprobiert, während es kurze Ansätze von Selbstversuchen mit
niedrigdosierten Neuroleptika schon gab, die aber sehr bald abgebrochen
wurden. Erfrischend und unschädlich ist EKT nur für den anwenden-den Arzt,
wenn er die Sicherheitsvorschriften beachtet und nicht selbst mit den
Elektroden in Berührung kommt. Ich habe eine diesbezügliche Warnung in einem
alten Lehrbuch gelesen.
Ich habe wenig Hoffnung, dass in den nächsten 40
Jahren der Ausstieg aus EKT gelingt, zumal es in USA und anderen Ländern
noch mehr verbreitet ist und in Deutschland gerade eine Renaissance der EKT
droht. Wie bei der vorsintflutlichen Atomspaltung energiepoli-tische und
wirtschaftliche Erwägungen, so verhindern auch beim Elektrokrampf
„sozial-politische“ und wirtschaftliche Erwägungen den Ausstieg.
Der Vorteil, Menschen damit beruhigen zu können,
ist so groß, dass er die Gehirnschäden für einen Betroffenen in der
öffentlichen Meinung aufwiegt. Wir in der Gegenwart unmittelbar Betroffenen
stellen nur einen kleinen unterprivilegierten Teil der Bevölkerung dar, wie
auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung von den Auswirkungen der
Atomwirtschaft in der Gegenwart unmittelbar betroffen ist. Aber
grundsätzlich kann es auch in der Psychiatrie jeden treffen, der sich jetzt
noch in falscher Sicherheit wiegt oder wähnt.
Ich will das Bild nicht weitertreiben, aber mir
kommt oft der Gedanke, dass wir als Psychisch Kranke als „Müll der
Gesellschaft“ auch so gesehen wurden wie Atommüll, dass man uns zwar
lagerte, aber nichts mit uns anzufangen wusste, uns in der Nazizeit mit
aktiver und engagierter Beihilfe vieler Ärzte auch einfach „entsorgte“
Professor Dörner hat einmal gesagt, dass man in den Kliniken Menschen zu dem
machte, was man dann als vernichtenswert einstufte. EKT, in den dreißiger
Jahren im Mailänder Schlachthof erfunden, in der Zwangspsychiatrie
unbeschränkt eingesetzt, hat kaum jemandem genützt, außer den Anwendern,
aber vielen Patienten geschadet. EKT setzt die Tradition der Folterwerkzeuge
in der Psychiatrie fort, nur dass die Folter sich heute nicht mehr auf den
ganzen Körper erstreckt, sondern auf das Gehirn konzentriert und am
narkotisierten Patienten gemacht wird.
Dabei werden die älteren Methoden (Drehstuhl und
Dauerbäder) von Patienten, die beides erleiden mussten, noch als gnädiger
empfunden, weil man sich innerlich dagegen wehren konnte. Ein direkter
massiver Angriff auf das Gehirn, auch in Narkose, ist eine sehr viel
heimtückischere Sache, wirkt direkt auf die Persönlichkeit und macht wehrlos
und hilflos. Er heilt nicht, sondern verletzt.
Alfred Deisenhofer
Elektrokrampftherapie (EKT)
Elektrokrampftherapie: wird angewandt bei
schweren, insbesondere wahnhaften Depressionen oder manischen Episoden bei
Nichtansprechen auf Pharmakotherapie oder Kontraindikationen gegen
Pharmakotherapie. Die EKT wurde im Jahr 1938 durch die italienischen
Psychiater Cerletti und Bini zur Therapie der Schizophrenie eingeführt, Sie
wird heute in den genannten Fällen auch zur Behandlung von affektiven
Störungen, schwerer Depressionen und Manien eingesetzt.
Indikation der Elektrokrampftherapie:
1. Als Therapie 1. Wahl
a) bei wahnhaften Depressionen, depressivem
Stupor und schizoaffektiven Psychosen mit depressiver
Verstimmung
b) bei endogenen Depressionen, die mit hoher
Suizidalität, Nahrungsverweigerung, körperlicher
Erschöpfung und außerordentlichem Leidensdruck
einhergehen
c) bei akuter lebensbedrohlicher Katatonie
2. Als Therapie 2. oder 3. Wahl
a) bei therapieresistenten Depressionen – nach
ineffizienter Behandlung mit zumindest 2 Antidepressiva
über einen ausreichenden Zeitraum bzw. nach
wirkungsloser Schlaf- entzugstherapie
b) bei therapieresistenten, nicht
lebensbedrohlichen Katatonien und anderen schizophrenen Psychosen
nach ausreichend dosierter, aber erfolgloser
Neuro- leptikabehandlung
c) bei therapieresistenten Manien –nach
wirkungsloser Gabe von Neuroleptika, Lithium, Carbamazepin
Nebenwirkungen: Manchmal Verlust des
Gedächtnisses, das aber nach und nach zurückkehrt.
Kontraindikationen:
1. Absolute Kontraindikationen
a) kürzlich überstandener Herzinfarkt
b) zerebrales oder aortales Aneurysma,
zerebrales Angiom
c) erhöhter Hirndruck
2. Relative Kontraindikationen
a) koronare Herzkrankheit
b) schwere arterielle Hypertonie
c) Zustand nach zerebralem Insult
d) pulmonale Erkrankungen
Keine Kontraindikationen: höheres Alter,
Schwangerschaft, Herzschrittmacher |